Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbeziehung einer tariflichen Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Feststellungsklage einer Mitarbeiterin der Passagierabfertigung auf einem Berliner Flughafen
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit § 22 Abs. 8 des Manteltarifvertrages für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25.02.2013 (MTV-BVD) in Verbindung mit der Anlage zum MTV für Berlin-Brandenburg und Abschn. B 2 II (1) des Überleitungstarifvertrages vom 25.02.2013 (ÜTV-VTV) als abweichende Regelung im Sinne des § 4 Abs. 4 EFZG angesehen wird, hält sich diese Regelung nicht in dem Rahmen der tariflichen Öffnungsklausel; die Tarifvertragsparteien sind an den Grundsatz der vollen (100 %) Entgeltfortzahlung gebunden, denn dieser Grundsatz folgt aus dem nicht tarifdispositiven § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 EFZG.
2. Führt die Herausnahme der Besitzstandszulage bei der Entgeltfortzahlung für jeden Tag der Entgeltfortzahlung zu einer Reduzierung des Arbeitsentgelts um etwa 25 %, ist eine solche Minderung mit dem Grundsatz der vollen Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht mehr vereinbar.
Normenkette
EFZG §§ 3-4, 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1; MTV-BVD § 22 Abs. 8; ÜTV-VTV Abschn. B 2 II (1); ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 04.03.2015; Aktenzeichen 20 Ca 14702/14) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.03.2015 - 20 Ca 14702/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Einbeziehung einer Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin ist aufgrund Arbeitsvertrages vom 30.08.1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 17.09.1990 im Bereich der Passagierabfertigung auf dem Flughafen Berlin-T. beschäftigt. Ihre regelmäßige monatliche Bruttovergütung beträgt 1.660,78 € einschließlich einer Besitzstandszulage von zuletzt 415,28 €. Die Beklagte ist ein Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Bodenverkehrsdienste an den Flughäfen T. und Sch.. Sie erbringt für zahlreiche Fluggesellschaften.
Die Beklagte wandte bis August 2013 einen von der G. Berlin GmbH (nachfolgend: GGB) abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag an. Seit September 2013 wendet sie ein neues Tarifwerk mit mehreren Tarifverträgen an, darunter den Manteltarifvertrag für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25. Februar 2013 (Anlage B 1, Blatt 99 ff. der Akte, nachfolgend: MTV BVD), allgemeinverbindlich mit Wirkung ab dem 1. September 2013, mit auszugsweise den folgenden Regelungen:
3. ABSCHNITT: VERGÜTUNG
§ 13
Allgemeines
(1) Die Vergütung besteht aus
(a) dem Monatsentgelt gemäß § 14,
(b) etwaigen Überstundenzuschlägen gemäß § 15 Abs. 3
(c) etwaigen Zuschlägen gemäß § 16,
(d) etwaigen weiteren in einem VTV geregelten Entgeltbestandteilen,
(e) etwaigen Zulagen.
...
§ 14
Monatsgrundentgelt (Tabellenentgelt)
(1) die Höhe des Monatsgrundgehalts bemisst sich nach dem jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag.
...
§ 16
Zuschläge für Feiertags-, Sonntags- sowie Nachtarbeit
...
5. ABSCHNITT: ARBEITSUNFÄHIGKEIT, STERBEGELD
§ 22
Arbeitsunfähigkeit
...
(6) Wird ein Beschäftigter durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitsgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. ....
...
(8) Soweit nicht in der Anlage für Berlin-Brandenburg etwas anderes vereinbart wird, ist als Vergütung während der Zeit der Entgeltfortzahlung das anteilige Monatsgrundentgelt nach § 14 zuzüglich etwaiger gemittelter zu versteuernder Zuschläge nach § 16 zu zahlen. Bemessungszeitraum für die Durchschnittsberechnung sind jeweils die letzten drei vollen Kalendermonate vor Beginn der Krankheit.
...
§ 28 Erlöschen von Ansprüchen
(1) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
Die Anlage zum MTV BVD für Berlin-Brandenburg enthält u.a. Folgendes:
Sonderregelung zu § 22 Abs. 8 MTV
Als Vergütung während der Zeit der Entgeltfortzahlung ist das anteilige Monatsgrundentgelt nach § 14 MTV zu zahlen.
Der Vergütungstarifvertrag für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25. Februar 2013 (Anlage B 2, Blatt 120 ff. der Akte, nachfolgend: VTV BVD), allgemeinverbindlich mit Wirkung ab dem 1. September 2013, enthält auszugsweise folgende Regelungen:
§ 2
Monatsgrundentgelt
Die Beschäftigten haben Anspruch auf ein monatliches Grundentgelt (Monatsgrundentgelt). Das Monatsgrundentgelt eines Vollzeitbeschäftigten ergibt sich aus .... Vergütungstabellen in den Anlagen 3a und b.
....
Die Beklagte hat mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Überleit...