Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsschutz bei Mitteilung einer vermuteten oder möglichen Schwangerschaft
Leitsatz (amtlich)
Die Mitteilung einer vermuteten oder möglichen Schwangerschaft ist ausreichend, um den Sonderkündigungsschutz aus § 9 MuSchG (jetzt § 17 MuSchG 2018) auszulösen.
Normenkette
MuSchG §§ 9, 9 Abs. 1, § 17
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 15.09.2017; Aktenzeichen 26 Ca 944/17) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. September 2017 - 26 Ca 944/17 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 2016 oder per E-Mail vom 5. Januar 2017 nicht aufgelöst worden ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.900,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Schwangerschaft der Klägerin.
Die Klägerin ist 29 Jahre alt (... 1988) und stand seit dem 1. September 2016 zunächst befristet und seit dem 1. Dezember 2016 unbefristet in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als kaufmännische Bürokraft bei 30 Wochenstunden und einer Vergütung von 1.300,00 EUR brutto.
Die Klägerin war arbeitsunfähig krank. Weil die Arbeitsunfähigkeit durch eine Gynäkologin bescheinigt war, fragte der Geschäftsführer der Beklagten wie auch die Büroleitung nach dem Grund der Arbeitsunfähigkeit. Die Kommunikation zwischen den Parteien erfolgte üblicherweise per WhatsApp und per E-Mail.
Am 14. Dezember 2016 teilte die Klägerin per E-Mail der Beklagten mit:
Hallo Ihr Lieben,
ich fühle mich noch nicht wirklich gut, sodass ich nicht kommen kann.
Ihr fragt euch bestimmt, ob ich schwanger bin. Das kann ich selbst nicht ganz beantworten. Habe auch keine Arbeitgeberbescheinigung oder ähnliches bekommen. Geplant war das auch nicht, wir haben gerade den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben, Baubeginn ist im Frühjahr 2017.
Es sieht momentan so aus, als wäre eine Fruchthöhle da... mehr kann ich euch nicht sagen! Zudem kamen durch den Sturz noch einige Komplikationen.
Ich hoffe ihr wisst die Offenheit zu schätzen.
Unter dem 19. Dezember 2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin, nach Darlegung der Beklagten mittels Einwurf-Einschreiben unter der Sendungsnummer RE 4637 0788 7DE mit einer Einlieferung am 19. Dezember 2016 um 13:26 Uhr. Nach einem handschriftlichen Zusatz einer Mitarbeiterin der Beklagten auf dem Einlieferungsbeleg handelte es sich um die Kündigung der Klägerin. Ob die Kündigung der Klägerin zugegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig. Nach den Unterlagen der Deutschen Post wurde eine Sendung mit der Sendungsnummer RE 4637 0788 7DE am 20. Dezember 2016 zugestellt. Was wem zugestellt wurde, ist der Sendungsverfolgung nicht zu entnehmen. Dem reproduzierten Auslieferungsbeleg der Deutschen Post kann entnommen werden, dass es sich um eine Auslieferung im Postleitzahlbereich 16548, also dem Wohnbereich der Klägerin, handelte.
Mit E-Mail vom 28. Dezember 2016 teilte die Klägerin der Beklagten u.a. mit:
"Nun gut, ich bin schwanger."
Am 4. Januar 2017 teilte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin per E-Mail mit, dass sie in den nächsten Tagen die Büroschlüssel vorbeibringen solle. Nach Mitteilung der Klägerin, dass sie so schnell wie möglich wieder zur Arbeit kommen wolle, erklärte der Geschäftsführer der Beklagten mit E-Mail vom 5. Januar 2017 an die Klägerin, dass der Arbeitsvertrag zum 31.01.2017 aufgelöst sei. Die Klägerin antwortete, dass die Bestätigung über ihre Schwangerschaft per Post auf dem Weg zur Beklagten sei. Deshalb sei die Kündigung unwirksam. Falls die Rücknahme nicht innerhalb von 5 Werktagen bestätigt werde, müsse sie leider Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Zusätzlich fügte die Klägerin an: "Ich bin gerade mehr als traurig und schockiert, denn ich habe mich sehr wohl bei Ihnen gefühlt und möchte so schnell wie möglich wieder zur Arbeit kommen." Mit E-Mail vom 11. Januar 2017 wies die Beklagte die Klägerin auf den Zugang der Kündigung am 20. Dezember 2016 hin.
Am 23. Januar 2017 erhob die Klägerin durch ihre damaligen Prozessbevollmächtigten Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Berlin. Sie trägt vor, eine schriftliche Kündigung der Beklagten nicht erhalten zu haben. Die Belege der Post würden den Zugang der Kündigung nicht dokumentieren. Die Klägerin wohne in einem Haus mit 12 Mietparteien. Die Klägerin und ihr Ehemann (damals Lebensgefährte) hätten den Briefkasten mindestens zweimal täglich kontrolliert und die Post herausgeholt. Da die Klägerin aufgrund eines Sturzes arbeitsunfähig gewesen sei, habe der Ehemann der Klägerin in der Zeit des angeblichen Kündigungszugangs den Briefkasten stets nach der Arbeit bei Rückkehr nach Hause kontrolliert, die Post mit nach Hause genommen und seiner Ehefrau übergeben. ...