Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung des arbeitgeberseitigen Verhaltens bei Erfüllung des Urlaubsanspruchs. Zahlung von Urlaubsentgelt dem Grunde nach. Keine Ausschlussfrist für zugesicherte Ansprüche
Leitsatz (amtlich)
Zahlt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt nicht vor Urlaubsantritt aus, ist die Urlaubserteilung des Arbeitgebers jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben gesetzeskonform so zu verstehen (§ 157 BGB), dass der Arbeitgeber damit zugleich streitlos stellt, dass er für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet ist, sofern dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen.
Anderenfalls hätte er den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht wirksam erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).
Aufgrund dieser "Zusage" ist der Zweck einer Ausschlussfrist - ähnlich wie beim Erteilen einer schriftlichen Lohnabrechnung - erreicht. Der Arbeitnehmer muss den Urlaubsentgeltanspruch nicht mehr im Sinne einer Verfallsklausel geltend machen (vgl. BAG 30.01.2019 - 5 AZR 43/18 - EzA § 3 MiLoG Nr. 4 Rz. 45 m.w.N.).
Normenkette
BGB § 611a Abs. 2; BUrlG § 11 Abs. 1-2; BGB § 288 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.08.2020; Aktenzeichen 34 Ca 15949/19) |
Tenor
I. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.08.2020 - 34 Ca 15494/19 - wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1078,45 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 09,18 EUR seit dem 01.03.2016,
aus 56,59 EUR seit dem 01.04.2016,
aus 16,40 EUR seit dem 01.05.2016,
aus 36,89 EUR seit dem 01.06.2016,
aus 94,07 EUR seit dem 01.11.2016,
aus 47,61 EUR seit dem 01.01.2017,
aus 72,74 EUR seit dem 01.03.2017,
aus 10,76 EUR seit dem 01.04.2017,
aus 54,70 EUR seit dem 01.07.2017,
aus 18,38 EUR seit dem 01.08.2017,
aus 134,64 EUR seit dem 01.09.2017,
aus 03,27 EUR seit dem 01.10.2017,
aus 15,82 EUR seit dem 01.11.2017,
aus 49,00 EUR seit dem 01.12.2017,
aus 94,63 EUR seit dem 01.01.2018,
aus 70,07 EUR seit dem 01.02.2018,
aus 22,17 EUR seit dem 01.03.2018,
aus 33,58 EUR seit dem 01.04.2018
aus 01,80 EUR seit dem 01.06.2018,
aus 67,37 EUR seit dem 01.07.2018,
aus 48,24 EUR seit dem 01.08.2018,
aus 99,17 EUR seit dem 01.11.2018,
aus 42,21 EUR seit dem 01.01.2019,
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage ab- und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 35,3 %, die Beklagte 64,7 % bei einem Streitwert von 1666,67 EUR in beiden Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Urlaubsentgeltdifferenzen für die Jahre 2016 bis einschließlich Ende 2019, insbesondere um die Zuschläge wegen Schichtarbeit und Boni während des Referenzzeitraums vor dem genommenen Urlaub. Die Klägerin hat in der Berufungsverhandlung die Entgeltklage für das Jahr 2019 zurückgenommen.
Die Klägerin ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 5./25.06.20214 (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 27 d. A.) bzw. des Änderungsvertrages vom 11.04./11.05.2017 (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 32 - 33 R. d. A.) bei der Beklagten als Customer Service (CS) Executive bzw. zuletzt CS Partner Specialist tätig. Die Klägerin erhält ein Grundentgelt ("Salary") pro Monat, vierteljährlich einen Bonus gemäß Ziff. 4.3 des Arbeitsvertrages ("Bonus Quarterly") sowie Schicht- und andere Zuschläge (in den Abrechnungen insbesondere mit "Shift" und einem Prozentsatz bezeichnet). Zu den Abrechnungen der Jahre Oktober 2015 bis einschließlich 2019 vergleiche die Abrechnungen in Kopie Bl. 34 - 89 d. A. sowie Bl. 170 - 221 d. A.
Mit ihrer beim Arbeitsgericht Berlin nach vorheriger Geltendmachung per Schreiben vom 13.11.2010 am 12.12.2019 eingegangenen und der Beklagten am 19.12.2019 zugestellten Klage hat die Klägerin Urlaubsentgeltdifferenzen für die oben genannten Zuschläge und Boni gefordert. Zwar habe sie in den einzelnen Jahren während ihres Urlaubs Urlaubsentgelt erhalten, dabei seien jedoch gezahlte Zuschläge wie der Vierteljahresbonus, die Schicht- und Feiertagszuschläge bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden. Die Ansprüche seien trotz der in Ziff. 11 des Arbeitsvertrages geregelten Verfallsfrist nicht verfallen. Sie bezieht sich dabei insbesondere auf die Rechtsprechung des EuGH im Fall "King" vom 29.11.2017 - C-217/16 -.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.509,62 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 18,06 Euro seit dem 01.03.2016,
aus 77,63 Euro seit dem 01.04.2016,
aus 49,54 Euro seit dem 01.05.2016,
aus 36,89 Euro seit dem 01.06.2016,
aus 151,87 Euro seit dem 01.11.2016,
aus 75,96 Euro seit dem 01.01.2017,
aus 128,71 Euro seit dem 01.03.2017,
aus 19,73 Euro seit dem 01.04.2017,
aus 59,24 Euro seit dem 01.07.2017,
aus 29,76 Euro seit dem 01.08.2017,
aus 176,31 Euro seit dem 01.09.2017,
aus 4,33 Euro seit dem 01.10.2017,
aus 23,32 Euro seit dem 01.11.2017,
aus 66,56 Euro seit dem 01.1...