Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertbarkeit menschenverachtender Äußerungen in kleiner, geschlossener WhatsApp-Gruppe. Kündigung (hier eines technischen Leiters eines Flüchtlingsheims) bei Gefährdung des Betriebszwecks durch fremdenfeindliche Äußerungen. Verfassungstreue eines technischen Leiters einer Unterkunft für Flüchtlinge. Bekanntwerden fremdenfeindlicher Äußerungen als Kündigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Der oder die Arbeitgeber*in darf das Protokoll eines vertraulichen WhatsApp-Chats, das ihm oder ihr von einer an dem Chat beteiligten Personen zugetragen wird, im Prozess verwenden.
2. Fremdenfeindliche oder sonst menschenverachtende Äußerungen, die Arbeitnehmer*innen innerhalb einer kleinen geschlossenen WhatsApp-Gruppe - hier: drei Personen - unter Verwendung ihrer privaten Handys tätigen, können keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Das gilt auch, wenn es sich um die technische Leitung einer Einrichtung für Geflüchtete handelt.
3. Die menschenverachtende Haltung eines oder einer Arbeitnehmer*in kann in einem an der Hilfe für Geflüchtete ausgerichteten Tendenz- oder tendenzähnlichen Betrieb auch keine personen- oder betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn der oder die Arbeitnehmer*in keine Tendenzträgereigenschaft hat.
4. Das gilt für den technischen oder die technische Leiter*in einer Einrichtung für Geflüchtete auch dann, wenn aufgrund der Mitgliederstruktur des Trägervereins die für den öffentlichen Dienst geltenden Grundsätze anzuwenden sein sollten.
Die Funktion der technischen Leitung ist nach ihrer Aufgabenstellung nicht so herausgehoben, dass mehr als das Minimum an Verfassungstreue verlangt werden kann. Dieses ist noch nicht gefährdet, wenn sich die menschenverachtende Haltung lediglich in einem vertraulichen WhatsApp-Chat äußert.
5. Die in fremdenfeindlichen und sonst menschenverachtenden Äußerungen in einem vertraulichen Chat zum Ausdruck kommende Haltung des oder der technischen Leiter*in einer Einrichtung für Geflüchtete kann jedoch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des oder der Arbeitgeber*in rechtfertigen, wenn durch das Bekanntwerden der Äußerungen der oder die Arbeitgeber*in in der Verwirklichung des Betriebszwecks im Hinblick auf die Gewinnung von Personal, im Verhältnis zu ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen und insbesondere im unmittelbaren Verhältnis zu den zu betreuenden Geflüchteten beeinträchtigt ist.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5; DS-GVO Art. 6, 9; KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1, §§ 9, 10 Abs. 1; ZPO § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 26.08.2020; Aktenzeichen 2 Ca 332/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 26. August 2020 - 2 Ca 332/20 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wir folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 27. April 2020 nicht aufgelöst worden ist.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 30. Juni 2020 aufgelöst.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 15.000,00 Euro brutto zu zahlen.
4. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 60 % und der Beklagte zu 40 % zu tragen.
III. Hinsichtlich des Bestands des Arbeitsverhältnisses wird die Revision zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie über einen Auflösungsantrag des Beklagten und dabei im Kern über die Frage, ob sich der Beklagte von einem Arbeitnehmer, der als technischer Leiter auch von Flüchtlingseinrichtungen tätig ist, wegen Vorgängen trennen kann, die er als fremdenfeindlich und rassistisch einordnet.
Der Beklagte ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein, der als sozialer Dienstleister im Landkreis Potsdam Mittelmark in den Bereichen Arbeitsförderung, Migration und Flüchtlingshilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie Regionalentwicklung tätig ist. Mitglieder des Vereins sind der Landkreis, 21 Städte, Ämter und Gemeinden im Landkreis sowie drei Vereine. Nach § 1 Absatz 2 Buchstabe c seiner Satzung ist Vereinszweck unter anderem die Hilfe für "politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler". Dieser Zweck wird nach § 1 Absatz 3 Buchstabe c der Satzung unter anderem durch deren "Beratung, Fürsorge, Unterbringung sowie Betreuung" verwirklicht. Seit der verstärkten Zuwanderung 2015 entwickelte sich der Bereich Migration zum wirtschaftlich größten Bereich des Beklagten. 2019 umfasste dieser Bereich etwa achthundert Personen. Diese sind in mehreren Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, darunter der Unterkunft in A, wo ausschließlich alleinstehende Männer leben. Nach den unwidersprochenen Angabe...