Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Verzugszinsen bei schuldhaftem Rechtsirrtum der Arbeitgeberin über Anpassungspflichten aus altersbenachteiligender Tarifregelung. Ablösung des altersbenachteiligenden Vergütungssystems durch benachteiligungsfreie Anpassung an neue Tarifstruktur des öffentlichen Dienstes
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 286 Abs. 4 BGB kommt die Schuldnerin nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den sie nicht zu vertreten hat; nach § 276 Abs. 1 BGB hat die Schuldnerin grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten.
2. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum kann die Schuldnerin von den Folgen des Verzugs freistellen; daran sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen.
3. Unverschuldet ist der Rechtsirrtum nur, wenn die Schuldnerin nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen braucht; ein bloßes Prozessrisiko reicht nicht aus.
4. Allein die Annahme der Arbeitgeberin, aufgrund der eindeutigen tariflichen Regelung in § 27 BAT nicht zur Zahlung der Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe verpflichtet zu sein, lässt ihr Verschulden nicht entfallen; insoweit liegt lediglich ein normales Prozessrisiko vor, das die Arbeitgeberin nicht entlastet.
5. Kann die Arbeitgeberin bei sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage erkennen, dass sie infolge der Altersbenachteiligung des BAT zu einer Anpassung der Vergütung "nach oben" verpflichtet ist, handelt sie schuldhaft und kann einen Rechtsirrtum nicht geltend machen.
6. Ein Anspruch auf Nebenleistung wie der Zinsanspruch ist grundsätzlich hinsichtlich Verjährungsbeginn, Dauer der Verjährung und Unterbrechung der Verjährung vom Hauptanspruch unabhängig.
7. Die Pflicht zur "Anpassung nach oben" endet mit der Ablösung eines altersbenachteiligenden Vergütungssystems durch ein benachteiligungsfreies; ein solches ist das Entgeltsystem des TV-L Berlin, in das die Beschäftigten gemäß § 18 TV Angleichung Berlin auf Grundlage der unter Wahrung der gemäß § 27 BAT erreichten Lebensaltersstufe in die neue Entgeltstruktur zum 01.11.2010 einzugliedern waren.
8. Bei der Regelung von Massenerscheinungen, wie es die Schaffung einer neuen Entgeltstruktur, die Überleitung der Beschäftigten in den TVöD und deren endgültige Eingliederung in die neue Struktur ist, liegt es in der Natur der Sache, dass es zu Randunschärfen kommt und die Regelung nicht jedem Einzelfall gerecht werden kann; derart komplexe Sachverhalte lassen sich nur unter gewissen Brüchen in der Systematik und unter Hinnahme vorübergehender Unstimmigkeiten regeln, so dass die Arbeitnehmerin keinen Anspruch darauf hat, seit ihrer Eingliederung in das reguläre Stufensystem des TV-L Berlin so gestellt zu werden, als wäre sie unter Zugrundelegung einer Vergütung aus der höchsten Lebensaltersstufe der Vergütungsgruppe Ib einer Stufe des TV-L zugeordnet worden.
Normenkette
AnwendungsTV § 18; BGB §§ 286, 288, 195, 199, 214; BAT § 27; TV Angleichung Berlin § 18; BGB § 199 Abs. 1 S. 1, § 217; VFV § 276 Abs. 1; BGB § 286 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.11.2012; Aktenzeichen 58 Ca 19652/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. November 2012 - 58 Ca 19652/11 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 429,09 EUR (vierhundertneunundzwanzig 09/100) brutto seit jeweils 01. Februar 2009, 01. März 2009, 01. April 2009, 01. Mai 2009, 01. Juni 2009, 01. Juli 2009, 01. August 2009, 01. September 2009, 01. Oktober 2009, 01. November 2009, 01. Dezember 2009, 01. Januar 2010, 01. Februar 2010, 01. März 2010, 01. April 2010, 01. Mai 2010, 01. Juni 2010, 01. Juli 2010, 01. August 2010, 01. September 2010, 01. Oktober 2010 bis jeweils 31. Oktober 2010 sowie aus 12.136,54 EUR (zwölftausendeinhundertsechsunddreißig 54/100) brutto vom 01. November 2010 bis 10. November 2011 zu zahlen.
II. Die Kosten erster Instanz hat die Klägerin zu 30 Prozent und das beklagte Land zu 70 Prozent, die Kosten zweiter Instanz hat die Klägerin zu 84 Prozent und das beklagte Land zu 16 Prozent zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin gegen das beklagte Land Anspruch auf Zinsen auf den sich aus der Anpassung ihrer Vergütung an die höchste Lebensaltersstufe ergebenden Differenzbeträge für die Zeit vom 01. November 2010 bis 10. November 2011 hat sowie darüber, ob die Klägerin ab 01. November 2010 Anspruch auf Vergütung nach der Stufe der Entgeltgruppe 14 TV-L Berlin hat, in die sie auf Basis eines Vergleichsentgeltes berechnet auf Basis der höchsten Lebensaltersstufe nach BAT, überzuleiten gewesen wäre.
Die am ... 1967 geborene Klägerin ist seit dem 01. April 2007 bei dem beklagten Land als technische Angestellte beschäftigt.
Auf der Grundlage des so genannten Anwendungstarifvertrages vom 31...