Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG bei Ablehnung einer schwerbehinderten Bewerberin
Leitsatz (amtlich)
1. Pflichtverletzungen, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die zur Förderung der Chancen schwerbehinderter Menschen bei der Einstellung geschaffen wurden, können bei einer Ablehnung der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbeiführen.
2. Nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX hat der Arbeitgeber alle Beteiligten über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Zu den Beteiligten zählt auch der betroffene Bewerber (im Anschluss an BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 – Rn. 50, NZA 2009, 728). Es bleibt offen, ob sich diese Regelung nur auf den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX bezieht und damit nur die Fälle betrifft, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt und ob eine Verletzung der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ergebenden Pflicht überhaupt geeignet ist, eine Indizwirkung iSd. § 22 AGG zu begründen.
3. Angesichts der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 –, die bislang nicht ausdrücklich aufgegeben worden ist, kann für den Bewerber aufgrund der unterbliebenen unverzüglichen Unterrichtung über die Gründe für die getroffene Entscheidung ein Anschein, dass seine Chancen im Bewerbungsverfahren geschmälert wurden oder die Auskunft deshalb unterblieb, weil die Schwerbehinderung jedenfalls auch zu seinem Nachteil berücksichtigt wurde, überhaupt nur dann entstehen, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigungsquote des § 71 SGB IX nicht erfüllte (vgl. auch LAG Hessen 28. August 2009 – 19/3 Sa 340/08 – Juris-Rn. 55, DÖD 2010, 79). Erfüllt der Arbeitgeber nämlich die Beschäftigungsquote nach § 71 SGB IX bzw. nach § 159 SGB IX, muss der Bewerber davon ausgehen, dass die Unterrichtung allein deshalb unterblieb, weil sich der Arbeitgeber unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht verpflichtet hält, entsprechende Informationen zu geben.
Normenkette
SGB IX § 81; AGG § 22
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 19.05.2011; Aktenzeichen 59 Ca 19231/10) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Mai 2011 – 59 Ca 19231/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung zu zahlen.
Die am … 1954 geborene Klägerin ist bei der Beklagten jedenfalls seit 1992 beschäftigt. Zuvor war sie bei verschiedenen Ministerien der ehemaligen DDR als Sekretärin tätig. Sie ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Seit 1996 war sie als Schreibkraft bzw. Büro-/Schreibkraft im B. tätig. Sie erzielte ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von etwa 2.500,00 Euro.
Nach den Angaben in einem Schreiben des Integrationsfachdienstes O. vom 28. Oktober 2010 (Bl. 240 bis 241 der Akte) wurde in einem Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement am 1. Dezember 2009 festgelegt, dass der „Arbeitgeber” eine Arbeitsaufnahme der Klägerin in einer anderen Bundesbehörde unterstützen soll. Das B. adressierte ein Schreiben vom 8. Dezember 2009 ua. an den Deutschen B./Verwaltung. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:
„im Hinblick auf die Entscheidung des BAG vom 13.8.2009 – 6 AZR 330/08 – bitte ich zu prüfen, ob für eine Mitarbeiterin meines Hauses zur Abwendung einer krankheitsbedingten Kündigung in Ihrem Haus oder ggf. in einer Ihnen nachgeordneten Behörde am Standort Berlin die Möglichkeit einer dauerhaften Beschäftigung besteht.
Der seit 1996 im B. beschäftigten und als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50% anerkannten Mitarbeiterin wurde von Seiten ihrer behandelnden Ärzte zur Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes dringend geraten, die Beschäftigungsdienststelle zu wechseln. Die Mitarbeiterin befindet sich z.Zt. im Erholungsurlaub.
Zu Ihrer Information füge ich einen anonymisierten Personalbogen bei, der alle wesentlichen Daten enthält.”
Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens und des Inhalts des beigefügten Lebenslaufes wird auf die Anlage B2, Bl. 242 bis 244 der Akte, Bezug genommen.
Der Deutsche B. veröffentlichte am 11. Juni 2010 auf seiner Webseite eine Stellenausschreibung für eine Stelle als Zweitsekretärin/Zweitsekretär für das Büro einer Vizepräsidentin/eines Vizepräsidenten des Deutschen B. Auf den Inhalt der Ausschreibung wird verwiesen (Anlage K1, Bl. 5 bis 7 der Akte). Es handelte sich um die Stelle der Zweitsekretärin/des Zweitsekretärs für das Büro der Vizepräsidentin des Deutschen B. Frau P. P.. Unter dem 8. Juni 2010 hatte der Deutsche B. diese Stelle bei der Agentur für Arbeit M. gemeldet und um Prüfung und Benennung geeigneter Bewerber/innen gebeten (Anlage B1 Bl. 34 der Akte). Es war ein Vermittlungsauftrag (Anlage B1, Bl. 33 der Akte) gestellt worden.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2010 bewarb sich die Kläger...