Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungs- und Beweislast im Zeugnisberichtigungsprozess bei Verwendung einer Zufriedenheitsskala zur Leistungsbeurteilung. Gesamtbewertung des Leistungsverhaltens einer Empfangsmitarbeiterin bei unsubstantiierten Darlegungen der Arbeitgeberin zu Leistungsmängeln
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Arbeitnehmerin hat gegen die Arbeitgeberin Anspruch auf Aufnahme einer guten Leistungsbeurteilung in ihr Arbeitszeugnis und damit auf die Beurteilung mit "stets zu unserer vollen Zufriedenheit", wenn die Arbeitgeberin etwaige Leistungsmängel nicht ausreichend dargelegt hat.
2. Verlangt die Arbeitnehmerin die Erteilung eines Zeugnisses, hat sie nach allgemeinen Grundsätzen die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich der Zeugnisanspruch ergibt; das betrifft zunächst allein die in § 109 GewO bestimmten Merkmale und damit das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, dessen Beendigung und (soweit ein qualifiziertes Zeugnis begehrt wird) das entsprechende "Verlangen".
3. Die Arbeitgeberin hat dann als Schuldnerin des Zeugnisanspruchs die Tatsachen darzulegen, aus denen sich das Nichtbestehen des Zeugnisanspruchs ergibt, wozu auch der Einwand gehört, dass der Zeugnisanspruch im Sinne von § 362 BGB erfüllt ist; dieser Darlegungslast genügt die Arbeitgeberin, wenn sie vorträgt, dass sie ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Zeugnis erteilt hat, das formell ordnungsgemäß ist und den allgemein erforderlichen Inhalt hat, wozu auch Angaben zu Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses und zur Führung und Leistung der Arbeitnehmerin gehören.
4. Auch im "Berichtigungsprozess", mit dem die Arbeitnehmerin eine überdurchschnittliche Beurteilung erstrebt, verbleibt es bei der allgemeinen Regel, dass die Arbeitnehmerin als diejenige, die einen Anspruch auf eine konkrete Zeugnisformulierung geltend macht, die hierfür erforderlichen Tatsachen vorzutragen hat.
5. Benutzt die Arbeitgeberin ein im Arbeitsleben übliches Beurteilungssystem, ist das Zeugnis aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts so zu lesen, wie es dieser Üblichkeit entspricht.
6. Hat sich die Arbeitgeberin zur Leistungsbewertung für die (sogenannte) Zufriedenheitsskala entschieden, ist zur Beantwortung der Frage, welche der Parteien die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat, darauf abzustellen, ob eine objektiv unbefangene Arbeitgeberin mit Berufs- und Branchenkenntnissen die Leistungsbewertung "zu unserer vollen Zufriedenheit" zur heutigen Zeit noch als durchschnittliche Leistungsbewertung ansieht und ob diese Leistungsbeschreibung aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts noch der heutigen Üblichkeit einer durchschnittlichen Bewertung entspricht.
7. Heutzutage kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Leistungsbewertung mit befriedigend nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens um eine durchschnittliche Beurteilung handelt, da 87,3% der in 2011 (und 68,3% der 2010) ausgewerteten Zeugnisse (sehr) gute Leistungsbewertungen enthalten und dies somit dazu führt, dass eine künftige Arbeitgeberin bei der Personalauswahl Zeugnisse mit einer schlechteren Bewertung als Ausschlusskriterium betrachtet und die Arbeitnehmerin damit Gefahr läuft, im Bewerbungsprozess allein deswegen schlechtere Chancen zu haben.
8. Diese Entwicklung wirkt sich auf den "Zeugnisberichtigungsprozess" dergestalt aus, dass die Leistungsbewertung mit "gut" nicht mehr als überdurchschnittlich angesehen wird, denn eine solche ist zum Durchschnitt geworden; daher obliegt die Darlegungs- und Beweislast für die ihrer Beurteilung mit "befriedigend" zu Grunde liegenden Tatsachen der Arbeitgeberin als Schuldnerin des Zeugnisanspruches.
Normenkette
GewO § 109; BGB § 611 Abs. 1, § 630; ZPO § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Schluss-Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Oktober 2012 - 28 Ca 18230/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Gesamtbewertung des Leistungsverhaltens in einem der Klägerin von der Beklagten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2011 zu erteilenden Zeugnisses.
Die Klägerin war in der Zahnarztpraxis der Beklagten seit dem 01. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011 als Empfangsmitarbeiterin/Rezeptionsmitarbeiterin/Bürofachkraft beschäftigt.
Die Beklagte erteilte ihr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis auf dessen Inhalt und Gestaltung (Bl. 83 d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 10. November 2011 wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit dem Hinweis, dass der übermittelte Text den Anforderungen an ein Zeugnis nicht genüge. Daraufhin übermittelte die Beklagte der Klägerin ein weiteres Zeugnis (Bl. 86 d. A.), auf dessen Inhalt und Gestaltung ebenfalls Bezug genommen.
Mit bei Gericht am 30. November 2011 eingereichter Klage hat die Klägeri...