Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbeziehung einer tariflichen Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Feststellungsklage eines Gruppenführers Vorfelddienste auf einem Berliner Flughafen
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen; der Entgeltfortzahlung liegt damit ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde.
2. Durch Tarifvertrag kann gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG eine von den § 4 Abs. 1, 1a und 3 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgeltes festgelegt werden; "Bemessungsgrundlage" im Sinne dieser Vorschrift ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung, wozu sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage gehören.
3. Die Berechnungsgrundlage setzt sich aus Geld- und Zeitfaktor zusammen und betrifft Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zulegenden Arbeitsentgelts sowie die Arbeitszeit des Arbeitnehmers; in diesem Rahmen sind Abweichungen auch zu Lasten des Arbeitnehmers zulässig.
4. Bei der Gestaltung der Bemessungsgrundlage haben die Tarifvertragsparteien darauf zu achten, dass sie weder unmittelbar noch mittelbar gegen die anderen, nach § 12 EFZG zwingenden und nicht tarifdispositiven Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes verstoßen; die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien findet dort ihre Grenze, wo der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in seiner Substanz angetastet wird.
5. Die Tarifvertragsparteien sind insbesondere an den Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung (100 %) im Krankheitsfall gebunden; dieser Grundsatz folgt aus dem nicht tarifdispositiven § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 4 Abs. 1 EFZG.
6. Gemäß § 22 Abs. 8 des Manteltarifvertrages für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25.02.2013 (MTV-BVD) in Verbindung mit der Anlage zum MTV für Berlin-Brandenburg ist als Vergütung während der Zeit der Entgeltfortzahlung das anteilige Monatsgrundentgelt fortzuzahlen; die Vergütung besteht gemäß § 13 MTV-BVD aus dem Monatsentgelt gemäß § 14 MTV-BVD und weiteren etwaigen dort näher bezeichneten Vergütungsbestandteilen, wobei eine Besitzstandszulage dort nicht genannt ist.
7. Soweit § 22 Abs. 8 MTV-BVD mit der Anlage zum MTV für Berlin-Brandenburg und Abschnitt B 2 II (1) des Überleitungstarifvertrages vom 25.02.2013 (ÜTV-VTV) als abweichende Regelung im Sinne des § 4 Abs. 4 EFZG angesehen wird, hält sich diese Regelung nicht im Rahmen der tariflichen Öffnungsklausel.
8. Soll durch eine Zulage ein Besitzstand gewahrt werden, der sich aus der Absenkung des bisherigen Monatsgrundentgeltes durch einen Tarifvertrag ergibt und folgt aus der Anrechnungsregelung, dass diese tarifliche Besitzstandszulage nicht auf Dauer als tarifliche Zulage oder tarifvertraglicher Zuschlag erhalten bleiben sondern einen ansonsten durch Tarifvorschriften eingetretenen Verlust bei dem Monatsentgelt (Monatsgrundentgelt und Zuschläge) ausgleichen soll, zählt die Besitzstandszulage für die betroffenen Beschäftigten zu der tarifvertraglichen Grundvergütung; wird die Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung nicht berücksichtigt, weicht der Tarifvertrag im Bereich dieser Besitzstandsregelung bewusst und gezielt von dem Grundsatz der vollen (100 %) Entgeltfortzahlung ab.
Normenkette
EFZG §§ 4, 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1, 4 S. 1, § 12; MTV-BVD § 22 Abs. 8; ÜTV-VTV Absch. B 2 II (1); ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.05.2014; Aktenzeichen 53 Ca 2203/14) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 2014 - 53 Ca 2203/14- wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Einbeziehung einer Besitzstandszulage bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Kläger.
Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit 1990 als Gruppenführer Vorfelddienste zuletzt auf dem Flughafen Berlin-T. beschäftigt. Die Beklagte unterhält ein Dienstleistungsunternehmen im Bereich Bodenverkehrsdienste an den Flughäfen Sch. (bei Berlin) und Berlin-T.. Sie ist Mitglied des Allgemeinen Verbandes der Wirtschaft für Berlin und Brandenburg e. V. (AWB).
Die Beklagte wandte bis August 2013 einen mit der Firma G. Berlin GmbH abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag Nr. 10 (im Folgenden: VTV Nr. 10) an.
Der Manteltarifvertrag für Bodenverkehrsdienstleistungen an Flughäfen in Berlin und Brandenburg vom 25. Februar 2013 (im Folgenden: MTV BVD), allgemeinverbindlich mit Wirkung ab dem 1. September 2013, enthält auszugsweise folgende Regelungen:
3. Abschnitt: Vergütung
§ 13 Allgemeines
(1) Die Vergütung besteht aus
(a) dem Monatsentgelt gemäß § 14,
(b) etwaigen Übe...