Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückweisung der Berufung. Kein Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn vorliegend mit der Stilllegung des Flugbetriebes durch die Freistellung und Kündigung von über 1.300 Pilotinnen und Piloten schon im November 2017 begonnen wurde, werden ausnahmsweise Nachteilsansprüche deswegen nicht begründet, da es zu dem "Ob" der Betriebsstilllegung zu diesem Zeitpunkt keinerlei realistische Alternative gab.

 

Normenkette

TV Personalvertretung Kabine Air Berlin § 83 Abs. 3; InsO §§ 210, 55 Abs. 1, § 209 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.11.2018; Aktenzeichen 23 Ca 4737/18)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.11.2018 - 23 Ca 4737/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nur für den Kläger insofern zugelassen, wie die Berufung bezüglich des Antrages zu 2) (Nachteilsausgleich) zurückgewiesen wurde. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten nur noch über Ansprüche auf Nachteilsausgleich. Das Arbeitsverhältnis ist wirksam durch Kündigung vom 27.01.2018 zum 30.04.2018 beendet worden.

Der Beklagte ist durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg, der am 17.01.2018 veröffentlicht wurde, zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in Berlin bestellt worden.

Die Klägerin (künftig: die klagende Partei) war bei der Schuldnerin in der Funktion als Flugbegleiterin beschäftigt. Die Betriebszugehörigkeit rechnete ab dem 15.09.1992. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt betrug 3.592,42 €.

Bei der Schuldnerin handelte es sich im Jahre 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in Düsseldorf und Berlin-Tegel hauptsächlich Ziele überwiegend in ganz Europa anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Das fliegende Personal der Schuldnerin war in Deutschland an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Köln, Hamburg und Paderborn stationiert.

Für das Kabinenpersonal wurde gemäß § 117 Absatz 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden: TV PV) vom 07.06.2016 - abgeschlossen mit ver.di - eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Kabine) gebildet. Für das Cockpitpersonal bestand eine gesonderte Personalvertretung (PV Cockpit) aufgrund eines Tarifvertrages, der mit der Vereinigung Cockpit (VC) abgeschlossen worden war. Für das Bodenpersonal waren drei Standortbetriebsräte nach dem BetrVG und ein Gesamtbetriebsrat gebildet worden. Der TV PV Kabine regelt unter anderem:

§ 2 Persönlicher Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Kabinenpersonals der a., nachfolgend auch "Kabinenpersonal" oder (zusammenfassend) Arbeitnehmer genannt.

...

§ 80 Betriebsänderungen

Die a. hat die Personalvertretung über geplante Änderungen des Flugbetriebs, die wesentliche Nachteile für das Kabinenpersonal insgesamt oder erhebliche Teile des Kabinenpersonals zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplante Änderungen mit der Personalvertretung zu beraten. ...

Als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1 gelten:

1. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Flugbetriebes oder von wesentlichen Teilen ...

...

§ 83 Nachteilsausgleich

(1) Weicht die a. von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, die a. zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gilt entsprechend.

(2) Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat die a. diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten entsprechend, wenn die a. eine geplante Betriebsänderung nach § 80 durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.

Am 08.12.2016 einigte sich die Schuldnerin mit der Gewerkschaft ver.di auf einen "TV A. Berlin: Pakt für Wachstum und Beschäftigung" (TV Pakt). Dieser sah unter anderem folgende Regelungen vor:

§ 1 Grundlagen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung

(1) Das Management Board der A. Berlin hat am 27.09.2016 das neue Geschäftsmodell der A. Berlin auf Grundlage eines umfassenden Transformationsprozesses vorgestellt, welches den Bestand der Gesellschaft für die nächsten Jahre nachhaltig sichern soll.

(2) Aus Anlass bevorstehender Umstrukturierungsmaßnahmen - wie zum Beispiel Wetleases, Einbringu...

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