Entscheidungsstichwort (Thema)
Lenkzeitunterbrechung der Straßenbahnfahrer
Leitsatz (amtlich)
Straßenbahnfahrer im Geltungsbereich des TV-N (Berlin) haben weder nach Tarifvertrag, noch nach der FPersVO oder nach europäischem Recht einen Anspruch auf eine Lenkzeitunterbrechung nach einer Gesamtlenkzeitdauer von 270 Minuten.
Normenkette
TV-N (Berlin) § 9 Abs. 2; EG-Verordnung Nr. 561/2006 vom 15.03.2006 Art. 7; FPersV § 1 Abs. 1 Nr. 2; EWG-Verordnung Nr. 3820/85 Art. 7
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 06.03.2007; Aktenzeichen 93 Ca 19239/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.03.2007 – 93 Ca 19239/06 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Lenkzeitunterbrechungen.
Die Beklagte ist eine nach dem Berliner Betriebegesetz (BerlBG) errichtete rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts des Landes Berlin. Sie untersteht der Rechtsaufsicht des Landes (§ 21 BerlBG). Ihre Aufgabe ist die Durch-führung von öffentlichem Personennahverkehr. Zu diesem Zweck betreibt sie u.a. Straßenbahnlinien, die auf in ihrem Eigentum stehenden Gleisanlagen geführt werden. Keine der Linien ereiche eine Länge von mehr als 20 km.
Die Klägerin ist seit dem 5.1.1987 bei der Beklagten als Straßenbahnfahrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin (TV-N) Anwendung. In § 9 TV-N sind besondere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten bei deren Einsatz als Omnibusfahrer, U-Bahnfahrer, Straßenbahnfahrer und Triebfahrzeugführer geregelt. Er enthält u.a. die bei der Klägerin angewandte Sechstel-Pausenregelung. Nach ihr kann die gemäß dem Arbeitszeitgesetz oder der Fahrpersonalverordnung (FPersV) zu gewährende Pause durch Lenkzeitunterbrechungen abgegolten werden, wenn deren Gesamtdauer mindestens ein Sechstel der im Dienst- und Fahrplan vorgesehenen Lenkzeit beträgt. Lenkzeitunterbrechungen unter acht Minuten werden bei der Berechnung der Gesamtdauer nicht berücksichtigt, die mindestens die Dauer der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen erreichen muss. Neben dem Führen der Straßenbahn hat die Klägerin weitere, in einer Dienstanweisung für den Fahrdienst beschriebene Arbeiten zu verrichten. Es ist unstreitig, dass sie nach einer Gesamtlenkzeit von 270 Minuten keine Lenkzeitunterbrechung von 45 Minuten erhält. Mit Schreiben vom 8.5.2006 machte sie gegenüber der Beklagten erfolglos die Gewährung dieser Lenkzeitunterbrechung geltend. Mit der am 19.10.2006 eingegangenen Klage verfolgte sie den Anspruch weiter mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin nach einer Gesamtlenkzeitdauer von 270 Minuten eine Lenkzeitunterbrechung von 45 Minuten zu gewähren.
Das Arbeitsgericht hat entsprechend dem Antrag der Beklagten die Klage durch Urteil vom 6.3.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ihr ein derartiger Anspruch weder nach nationalem noch nach europäischem Recht zustehe. Gegen das ihr am 10.4.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8.5.2007 Berufung eingelegt und sie am 8.6.2007 begründet.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nach §§ 1 und 2 Abs. 3 des Gesetz über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (FPersG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 (FPersV) und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des
Rates vom 20.12.1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr nach einer Lenkzeit von 270 Minuten eine Unterbrechung der Lenkzeit von mindestens 45 Minuten zu gewähren sei, sofern sie hiernach ihren Dienst nicht beende. In dieser Zeit dürfe der Fahrer keine Arbeiten ver-richten. Dies entspreche auch § 4 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006. § 2 Nr. 3 FPersG, das ausdrücklich auch für das Fahrpersonal von Straßenbahnen gelte, sei Grundlage für die FPersV, deren § 1 Abs. 1 Nr. 2 auf die Regelungen über die Lenkzeiten, Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 verweise. Die von ihr gelenkte Straßenbahn erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 FPersV. Zwar seien in Art. 1 Nr. 2 a der Verordnung (EWG) Schienenfahrzeuge von der Definition der Kraftfahrzeuge ausgenommen. Jedoch habe der nationale Gesetzgeber es zulässigerweise für zweckmäßig erachtet, mit dem FPersG und der FPersV Straßenbahnen in den Anwendungsbereich einzubeziehen. Dies entspreche dem Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelungen und ihrer Entstehungsgeschichte. Art 1 der Verordnung (EWG) schränke daher den von dem FPersG vorgegebenen Anwendungsbereich der FPersV nicht ein. Ausnahmetatbeständen seien nicht einschlägig. Insbesondere sei die Beklagte keine Behörde im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 FPersV, erbringe keine öffentlichen Dienstleistungen und nehme am Wettbewerb teil. Tarifvertragliche Regelungen seien nicht einschlägig.
Die Kläg...