Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagänderung durch Antragsanpassung. Anordnung amtsärztlicher Untersuchung. Verweigerung amtsärztlicher Untersuchung bei rechtswidriger Anordnung. Neufassung des Feststellungsantrags in der Berufungsinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anpassung eines Antrags an die Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO bei unverändertem Prozessziel stellt keine Klagänderung dar.

2. Ein Arbeitnehmer, der gemäß § 3 Abs. 5 Satz 1 TV-L verpflichtet ist, seine Leistungsfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, ist zur Verweigerung einer zu diesem Zweck angeordneten amtsärztlichen Untersuchung berechtigt, wenn der Arbeitgeber in seinem Schreiben an den amtsärztlichen Dienst überschießende Angaben zu Problemen des Arbeitnehmers bei der Arbeit gemacht und Fragen gestellt hat, die über eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit hinausgehen.

 

Normenkette

TV-L § 3 Abs. 5 S. 1, § 29 Abs. 2-3; BGB § 275 Abs. 3; ZPO § 256 Abs. 1, §§ 267, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, § 525 S. 1, § 533; BGB § 611 Abs. 1; TV-L § 29 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; ZPO §§ 263, 529, 533 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Potsdam (Entscheidung vom 28.02.2012; Aktenzeichen 3 Ca 2539/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 28.02.2012 - 3 Ca 2539/11 - teilweise geändert.

2. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, sich aufgrund der Anordnung des Beklagten vom 28.10.2011 einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

3. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben bei einem Streitwert von 2.113,33 € die Klägerin zu 5,36 % und der Beklagte zu 94,64 % zu tragen, während die Kosten der Berufungsinstanz bei einem Streitwert von 2.127,78 € der Klägerin zu 6,01 % und dem Beklagten zu 93,99 % auferlegt werden.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die am .....1970 geborene Klägerin steht seit dem 06.12.1996 als Lehrerin in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten, auf das der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12.10.2006 (TV-L) kraft Bezugnahme Anwendung findet.

Seit ihrer Umsetzung von der Grundschule B. an eine Oberschule in J. mit Wirkung vom 14.02.2011 fiel die Klägerin bis Ende des Schulhalbjahres krankheitsbedingt an 66 Arbeitstagen aus. Auf ein Angebot des Beklagten vom 24.03.2011 zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ging die Klägerin nicht ein. Vielmehr wies sie mit Schreiben vom 20.04.2011 darauf hin, dass ein Einsatz in der Sekundarstufe ihrer Genesung abträglich sei und sie von einem Grundschuleinsatz an einem nahen Ort Genesungsfortschritte erwarte. Daraufhin wurde die Klägerin ab Beginn des folgenden Schuljahrs an eine Grundschule in J. umgesetzt. Bereits mit Schreiben vom 12.09.2011 (Abl. Bl. 63 GA) beantragte die Klägerin, ab dem zweiten Halbjahr an die Grundschule in B. "rückumgesetzt" zu werden, weil ihr jetziger Einsatz weitere Beschwerden erzeugt habe. Mit E-Mail vom 13.09.2011 (Abl. Bl. 64 u. 65 GA) brachte sie vor, dass sie bislang unter starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Arbeit erschienen sei und dass krankheitsbedingte Ausfälle nicht zu vermeiden seien, wenn sie aufgrund unverständlicher Zeitkonten nicht genügend Möglichkeiten zur Genesung und Regenerierung nutzen könne.

Mit Schreiben vom 26.10.2011 (Abl. Bl. 67-69 GA) erbat der Beklagte beim amtsärztlichen Dienst des Landkreises W. ein Gutachten zu Folgenden Fragen:

"1. Welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen immer wieder zur Arbeitsunfähigkeit?

2. Besteht ein einheitliches Grundleiden?

3. Bestehen Funktionseinschränkungen und wenn ja, welche?

4. Welche Auswirkungen haben die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Allgemeinen und bezogen auf die dienstliche Tätigkeit?

5. Besteht Aussicht auf Wiederherstellung der vollen tätigkeitsbezogenen Leistungsfähigkeit? Wenn ja, wann?

6. Besteht infolge der Erkrankung aus ärztlicher Sicht eine dauernde Unfähigkeit zur Erfüllung der Pflichten gemäß der beschriebenen Tätigkeit?"

Zur Begründung dafür führte der Beklagte unter anderem aus:

"In der zurückliegenden Zeit gab es zwischen Frau W., den Schulleitern, den Lehrkräften und den Eltern innerdienstliche Spannungen und erhebliche Störungen des Vertrauensverhältnisses.

Es liegen massive Beschwerden von Eltern vor, die die Klassenleitertätigkeit von Frau W. ablehnten. Es gab sogar Abmeldungen von Schülern, die nicht von Frau W. unterrichtet werden wollten."

Von der Beauftragung des amtärztlichen Dienstes gab der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 28.10.2011 (Abl. Bl. 7 GA) Kenntnis.

Die daraufhin erhobene Klage auf Feststellung, dass diese Anordnung unwirksam sei, hat das Arbeitsgericht Potsdam abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Klägerin im ersten Halbjahr 2011 und ihrer Erklärungen hierzu habe für den Beklagten begründete Veranlassung bestanden, von der durch § 3 Abs. 5 Satz 1 TV-L eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen. Dass sich der Beklagte nicht m...

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