Entscheidungsstichwort (Thema)
Schließung einer BKK. Zeitpunkt der Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer einer geschlossenen Betriebskrankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Der Streit zwischen einem Arbeitnehmer und einer geschlossenen Betriebskrankenkasse darüber, ob sein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder durch ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist, wird nicht bereits dadurch zugunsten des Arbeitnehmers entschieden, dass dieser mit der personenidentischen Betriebskrankenkasse in Abwicklung eine Vereinbarung über seine befristete Beschäftigung trifft (gegen LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.05.2012 - 13 Sa 2486/11).
2. Dass § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V aufgrund der Verweisung in § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V nur für die Beschäftigten einer Betriebskrankenkasse gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, hat nicht zur Folge, dass die ordentlich kündbaren Arbeitsverhältnisse zu dieser gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V mit dem Tag ihrer Schließung enden (gegen LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.05.2012 - 7 Sa 16/12; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil 18.04.2012 - 23 Sa 110/12).
Normenkette
SGB V § 155 Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.02.2012; Aktenzeichen 59 Ca 7920/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.02.2012 - 59 Ca 7920/11 - teilweise geändert.
2. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch die Kündigung der Beklagten vom 19.05.2011 weder zum 30.06. noch zum 31.12.2011 beendet worden.
3. Die Beklagte hat die Klägerin bis zum 31.12.2012 zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Angestellte zu beschäftigen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die am ....1964 geborene Klägerin stand seit dem 08.01.1986 in einem Arbeitsverhältnis zum Land Berlin, das ab 01.01.1999 mit dessen Betriebskrankenkasse weitergeführt wurde. Diese fusionierte zum 01.01.2004 mit der BKK H. zur C. BKK. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen vom 01.05.2010 (MTV BKK) Anwendung. Danach war das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die zuletzt gegen ein Monatsgehalt von 3.313,45 € brutto in der Geschäftsstelle der Beklagten in Berlin beschäftigt wurde, mit einer Frist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahrs kündbar.
Nach Anzeige ihrer Überschuldung ordnete das Bundesversicherungsamt durch Beschluss vom 04.05.2011 die Schließung der Beklagten zum 30.06.2011 an. Davon machte diese der Klägerin mit Schreiben vom 09.05.2011 unter Hinweis darauf Mitteilung, dass ihr Arbeitsverhältnis zum 30.06.2011 enden werde. Außerdem kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 19.05.2011 zum 30.06.2011 und höchst vorsorglich zum nächst zulässigen Termin.
Zum 01.07.2011 wurde die Klägerin aufgrund eines Arbeitsvertrags mit der "C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung" als Sachbearbeiterin für die Zeit bis zum 28.02.2011 eingestellt. Die Wirksamkeit dieser Befristungsabrede ist Gegenstand eines anderen, derzeit terminlos gestellten Rechtsstreits.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die auf Feststellung gerichtete Klage, dass das Arbeitsverhältnis nicht am 30.06.2011 geendet habe, sondern darüber hinaus fortbestehe, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei parteifähig und damit passivlegitimiert, weil sie als fortbestehend gelte, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordere. Die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien zueinander seien kraft Gesetzes beendet worden, wie sich aus der Verweisung auf die für Innungskrankenkassen geltende Vorschrift ergebe. Gegen diese Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere sei der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit mit Rücksicht auf das überragende Gemeinschaftsgut einer funktionierenden gesetzlichen Sozialversicherung nicht unverhältnismäßig. Deshalb scheide auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus.
Auf die zum 30.06.2011 bzw. zum nächst zulässigen Termin ausgesprochene Kündigung komme es nicht mehr an. Die allgemeinen Fortbestandsanträge der Klägerin seien nicht mehr zur Entscheidung angefallen. Dies gelte auch für ihren unechten Hilfsantrag auf einstweilige Weiterbeschäftigung.
Gegen dieses ihr am 16.04.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.05.2012 eingelegte und am 14.06.2012 begründete Berufung der Klägerin. Sie hält die Auslegung der einschlägigen Vorschriften durch das Arbeitsgericht für falsch und meint, dass durch eine restriktive Auslegung den Interessen der Beklagten bzw. der mithaftenden Krankenkassen keine Gewalt angetan werde.
Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung scheitere am Fehlen dringender betrieblicher Erfordernisse, weil weiterhin Abwicklungsarbeiten anfielen.
Ihren Weiterbeschäftigungsantrag habe sie mit Rücksicht auf eine weitere vorsorgliche, von ihr angegr...