Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. Verschulden vom Prozessbevollmächtigten. Zurechenbarkeit. Zurechenbarkeit des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat ein Rechtsanwalt in einer Besprechung von einem gekündigten Arbeitnehmer den Auftrag erhalten, Kündigungsschutzklage zu erheben, so hat er dies entweder sofort zu tun oder jedenfalls unter Beachtung der dreiwöchigen Klagefrist eine entsprechende Frist zu notieren. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ist dem Arbeitnehmer zuzurechnen mit der Folge, dass eine nachträgliche Zulassung der Klage nicht in Betracht kommt.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2; KSchG § 5 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.08.2011; Aktenzeichen 28 Ca 9265/11)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.08.2011 - 28 Ca 9265/11 - abgeändert:

Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung wird zurückgewiesen.

II. Die Kostenentscheidung, auch hinsichtlich des hiesigen Berufungsverfahrens, bleibt dem arbeitsgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer Zwischenentscheidung darüber, ob eine verspätet eingegangene Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen ist.

Hinsichtlich des unstreitigen Sachverhaltes und des Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit Zwischenurteil vom 12. August 2011 hat das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen. Im bewussten Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat es angenommen, dass ein Verschulden eines Bevollmächtigten an der Versäumung der gesetzlichen Klagefrist bei einer Kündigungsschutzklage dem klagenden Arbeitnehmer nach § 85 Abs. 2 ZPO nicht zuzurechnen ist. Im Übrigen liege ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht vor. Die Verschuldensfähigkeit von Rechtsanwalt Sch. sei angesichts der von der Klägerin glaubhaft gemachten Auffälligkeiten schon in den Tagen vor dem Zusammenbruch ausgeschlossen. Auch für die Zeitspanne zwischen dem Ausfall von Rechtsanwalt Sch. (31.05.2011) bis zum Ablauf der Klagefrist am 8. Juni 2011 könne ein Verschulden nicht festgestellt werden. Die übrigen Teilhaber der Sozietät hätten ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Kündigungsschreiben des Beklagten sich in einer anderen Akte eines anderen Rechtsstreits befunden hatte. Bei einer solchen "Tarnung" sei nicht ohne weiteres anzusehen gewesen, dass sich hierin ein Kündigungsschutzmandat verkörpert habe.

Dieses Urteil ist dem Beklagten am 6. September 2011 zugestellt worden. Die Berufung ging am 14. September 2011 beim Landesarbeitsgericht ein. Nach Verlängerung bis zum 7. Dezember 2011 erfolgte die Berufungsbegründung am 5. Dezember 2011.

Der Beklagte ist der Ansicht, § 85 Abs. 2 ZPO käme zur Anwendung. Es liege auch ein Verschulden der Bevollmächtigten der Klägerin vor. Rechtsanwalt Sch. sei am 23. Mai 2011 schuldfähig gewesen. Dies ergebe sich schon daraus, dass er am Straßenverkehr teilgenommen und Besprechungen durchgeführt habe. Ihm falle auch ein Organisationsverschulden zur Last. Bei einer sich abzeichnenden Krankheit hätte er für die Möglichkeit, plötzlich auszufallen, Vorsorge treffen müssen. Auch die übrigen Mitglieder der Sozietät hätten sorgfaltswidrig gehandelt. Diese hätten bei entsprechender Kenntnis des Krankheitszustandes die Akten an sich ziehen müssen. Auch sei es kein Entschuldigungsgrund, dass das Kündigungsschreiben in einer falschen Akte abgelegt gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. August 2011 (28 Ca 9265/11) abzuändern und den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin für zutreffend. Rechtsanwalt Sch. hätte aufgrund seines Gesundheitszustandes Vorkehrungen nicht mehr treffen können. Bezogen auf die übrigen Sozietätsmitglieder liege ein Verschulden nicht vor. Ihnen hätte schon die Kenntnis gefehlt, dass ihnen von der Klägerin ein entsprechendes Mandat erteilt worden sei. Es könne nicht verlangt werden, dass sämtliche Akten gesichtet und ggf. die jeweiligen Mandanten befragt hätten werden müssen. Sämtliche Akten seien hingegen einer Prüfung auf Fristen unterzogen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Insofern war das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin abzuändern und der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen.

I. Die Berufung ist statthaft. Das Arbeitsgericht hatte gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG die Verhandlung und Entscheidung zunächst auf den Antrag über die nachträgliche Klagezulassung beschränkt. Das entsprechende Zwischenurteil kann wie ein Endurteil angefochten werden (§ 5 Abs. 4 Satz 3 KSchG).

Die Berufung ist auch zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingele...

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