Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses durch Überlassung als Leiharbeiter
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezugspunkt der Überlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG ist die Dauer der Eingliederung des überlassenen Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation eines Entleihers.
2. Die Geltung eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG, durch den die nach § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG gesetzlich festgelegte Überlassungshöchstdauer abweichend geregelt wird, erfordert allein die Tarifgebundenheit des Entleihers.
3. Eine vereinbarte Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten ist noch als "vorübergehend" anzusehen.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1b
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Oktober 2019 - 8 Ca 7829/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen vor dem Hintergrund einer Überlassung des Klägers als Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Der Kläger schloss mit der A... GmbH (im Folgenden: A GmbH), einem Leiharbeitsunternehmen, mit Wirkung vom 1. September 2014 einen Arbeitsvertrag. In diesem Arbeitsvertrag ist - wie auch in späteren Arbeitsverträgen - auf für die Leiharbeitsbranche geltende Tarifverträge Bezug genommen worden. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der A GmbH war vereinbart, dass der Kläger die Arbeitsleistung bei der Beklagten als Metallarbeiter zu erbringen habe. Die Beklagte ist ein Großunternehmen der Automobilindustrie. Die dort auszuführenden Arbeitsschritte in der Motorenfertigung waren in der Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der A GmbH genau beschrieben.
Die A GmbH überließ den Kläger in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 31. Mai 2019 ausschließlich der Beklagten. Der Kläger arbeitete ständig in der Motorenfertigung. Zu einer Unterbrechung des Einsatzes bei der Beklagten kam es in der Zeit vom 21. April 2016 bis zum 20. Juni 2016 angesichts einer Elternzeit des Klägers.
Die Beklagte war und ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (VME). Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und VME schlossen am 1. Juni 2017 mit Wirkung vom 1. April 2017 einen Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (TV LeiZ BB) mit ua. folgendem Inhalt:
"1. Geltungsbereich
Es gilt der Geltungsbereich der Manteltarifverträge für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg.
2. Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern
2.1 Durch den Einsatz von Leih-/Zeitarbeit darf für die Beschäftigten im Entleihbetrieb keine feststellbare Beeinträchtigung der Entgelt- und Arbeitsbedingungen und keine feststellbare Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden.
Protokollnotiz: Leih-/Zeitarbeitnehmer sollen nach Auffassung der Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht regelmäßig auf Arbeitslätzen eingesetzt werden, die im Betrieb auf Dauer angelegt werden.
2.2 Der vorübergehende Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG zulässig. Die nachfolgenden tariflichen Regelungen erfolgen in Umsetzung der Öffnungsklauseln nach § 1 Abs. 1b AÜG und sind in ihrer Anwendung auf den Geltungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes beschränkt.
Ein vorübergehender Einsatz ist danach gegeben, wenn
2.2.1 ein Einsatz zeitlich befristet ist
oder
2.2.2 ein Sachgrund vorliegt, z.B. der Einsatz erforderlich ist, weil Fachkräfte mit speziellen Qualifikationen im Betrieb nicht vorgehalten werden (z.B. Projekte, die spezielle Qualifikationen verlangen) oder in Vertretungsfällen (z.B. Krankheit, Schwangerschaft)
2.2.3 oder
der Einsatz dazu dient, Auftragsspitzen oder anderen zeitlich begrenzten Mehrbedarf abzuarbeiten.
2.2.4 Der Sachgrund nach Ziffern 2.2.2 und 2.2.3 ist nicht auf die Vorgaben
und Definitionen des § 14 Abs. 1 TzBfG oder eines anderen gesetzlichen Sachgrundes beschränkt.
2.3 Die Tarifparteien stimmen darin überein, dass die Höchstdauer eines Einsatzes nach diesem Tarifvertrag (Ziffer 3 und Ziffer 4.1) 48 Monate nicht überschreiten darf.
Erfolgt der Einsatz wegen eines Sachgrundes, der voraussichtlich länger als 48 Monate andauert, ist dem Betriebsrat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG neben dem Sachgrund die voraussichtliche Dauer des Einsatzes mitzuteilen und dies zu dokumentieren. Damit ist die tariflich zulässige Überlassungshöchstdauer für diesen Fall festgelegt.
2.4. Der Einsatz eines Leih-/Zeitarbeitnehmers bedarf der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG.
Eine vorläufige personelle Maßnahme nach § 100 Abs. 1 BetrVG kann frühestens zehn Kalendertage nach Antragstellung oder frühestens drei Kalendertage nach erfolgter Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 BetrVG durchgeführt werden.
Diese Fristverlängerung gilt nicht für Not- und außergewöhnliche Fälle, kurzfristig erforderliche Vertretungsfälle sowie Erset...