Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit dienstlicher Kontakte bei scheinbar gewollter Freizeitverbindung. Pflicht zur Unterlassung von Umarmungen bei erkennbarer Unerwünschtheit. Fürsorgepflichten des stellvertretenden Direktors. Pflichtverletzung bei Mitnahme von Mitarbeitern im Auto bei eigener Alkoholisierung. Sexuelle Tendenzen als verhaltensbedingter Kündigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
Vorgesetzte einer öffentlichen Einrichtung dürfen nachgeordnete Mitarbeiterinnen nicht mit dem Anschein einer dienstlichen Verpflichtung zum gemeinsamen Verbringen von Freizeit und Alkoholkonsum zu zweit drängen oder in sonstiger Form wie u.a. durch mehrfache unerwünschte nächtliche Nachrichten oder Anrufe für private Interessen in Anspruch nehmen. Dies gilt insbesondere, soweit von Seiten des Vorgesetzten Fragen der Sexualität ohne jeden Bezug zur Arbeitsleistung thematisiert werden. Erkennbar unerwünschte Umarmungen nachgeordneter Mitarbeiterinnen sind zu unterlassen. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls und soweit eine negative Prognose gestellt werden kann, kann eine Verletzung dieser Pflichten eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, § 4
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 13.11.2019; Aktenzeichen 60 Ca 13111/18) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. November 2019 - 60 Ca 13111/18 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Auf Rüge der Beklagten, die sich auf eine Organstellung des Klägers berufen hat, wurde vorab über den Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit entschieden. Dieser ist gemäß Beschluss des Arbeitsgerichts vom 21. November 2018 und Zurückweisung der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2019 (Az. 9 Ta 2458/18) gegeben.
Der 1959 geborene Kläger ist seit 15. April 2010 bei der Beklagten als Referent Politische Bildung tätig. Die Beklagte ist eine Stiftung öffentlichen Rechts und beschäftigt über zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gemäß Beschluss des Stiftungsrates vom 16. Dezember 2010 wurde der Kläger zum stellvertretenden Direktor der Beklagten berufen. Als stellvertretender Direktor schloss der Kläger Verträge für die Beklagte (s. i.E. Bl. 47-69 d.A.).
Am 29. Februar 2016 informierte der damalige Vorsitzende des Stiftungsrates Staatssekretär R. den damaligen Direktor der Beklagten über die Beschwerden von Frauen betreffend den Kläger. Der Direktor der Beklagten führte am 1. März 2016 ein Personalgespräch mit dem Kläger und dokumentierte den Inhalt des Gespräches in folgendem Vermerk, der dem Kläger ausgehändigt wurde:
"Am 01.03.2016 fand ein Personalgespräch zwischen Herrn Dr. A. [dem Direktor der Beklagten] und Herrn F. [dem Kläger] statt. Herr Dr. A. informierte dabei Herrn F. über ein Gespräch mit Herrn StS R. und Frau R. von der Berliner Kulturverwaltung am 29.02.2016. Diese hätten ihn darüber informiert, dass sich drei frühere Beschäftigte der Stiftung bei der Kulturverwaltung über Herrn F. beschwert hätten. Zwei der Beschäftigten wollten anonym bleiben. Die Beschäftigten hätten angegeben, dass sie sich von Herrn F bedrängt gefühlt hätten. So hätte er sie in den Arm genommen, obwohl sie signalisiert hätten, dass sie das nicht wollten. Zudem hätte er ihnen nachts SMS geschickt, die als privat empfunden worden wären. Schließlich hätten sie zum Ausdruck gebracht, dass dies auch unter Alkoholeinfluss geschehen sei.
Herr Dr. A. erklärte Herrn F, dass er die Beschwerden sehr ernst nähme. Er wisse die Bemühungen von Herrn F um ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern sehr zu schätzen. Diese dürften sich aber in keiner Weise davon bedrängt fühlen. Dies würde nicht nur das Renommee der Stiftung und von Herrn F beschädigen, sondern könne auch arbeitsrechtlich und strafrechtlich relevant sein.
Herr F zeigte sich von den Beschwerden sehr betroffen. Er erklärte, dass es durch ihn niemals zu irgendeiner Form der Übergriffigkeit gegenüber seinen Mitarbeitern gekommen sei. Er könne sich die Beschwerden nur dadurch erklären, dass er aufgrund seiner Herkunft aus Rumänien möglicherweise anders und warmherziger reagiere, als das in Deutschland üblich sei. Gerade bei jungen Mitarbeitern bemühe er sich um ein Verhältnis auf Augenhöhe. Dazu nehme er seine Mitarbeiter auch schon mal in den Arm oder kommuniziere mit ihnen privat per SMS oder WhatsApp. Das geschehe aber ausschließlich im Interesse eines freundschaftlich-kollegialen Verhältnisses zu den ihm unterstellten Mitarbeitern, und zwar bei männlichen und weiblichen Mitarbeitern gleichermaßen. Die Mitarbeiter würden das als besonderen Vertrauensbeweis werten. Die meisten hielten deshalb auch noch nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit der Gedenkstätte Kontakt zu ihm, sowohl privat als auch ihren beruflichen Werdegang betreffend.
Herr F erklärte weiter, dass ihm die Ausbildung und Förder...