Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenpflicht im Baugewerbe bei Auftragung des Kunststoffs Polyurea an und in Gebäuden sowie im Bereich des Wasserbaus
Leitsatz (amtlich)
Das Applizieren des Kunststoffs Polyurea an und in Gebäuden sowie im Bereich des Wasserbaus unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 VTV.
Normenkette
SokaSiG; VTV § 1 Abs. 2; VTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. II, Abschn. IV Nr. 3, Abschn. V Nrn. 9, 36, 41
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.05.2016; Aktenzeichen 66 Ca 61365/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Mai 2016 - 66 Ca 61365/15 - abgeändert, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 54.198,92 Euro verurteilt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.
III. Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 54.619,52 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
In diesem Verfahren streiten die Parteien auf der Basis des SokaSiG um Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum vom Dezember 2011 bis November 2013.
Der Kläger ist die tariflich bestimmte Einzugsstelle der Sozialkassen des Baugewerbes. Auf der Grundlage des ursprünglich für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) und mittlerweile durch das am 24. Mai 2017 veröffentlichte Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) vom 16. Mai 2017 gesetzlich abgesichert, begehrt der Kläger 54.198,92 € oder 54.619,52 € für
- 5 gewerbliche Arbeitnehmer in den Monaten 12/2011 bis 01/2012 in Höhe von 3.491,85 € (= 16,60% von einer Bruttolohnsumme von 21.035,25 €)
- 7 gewerbliche Arbeitnehmer in den Monaten 02/2012 bis 05/2012 in Höhe von 8.333,76 € (= 16,60% von einer Bruttolohnsumme von 50.203,38 €)
- 8 gewerbliche Arbeitnehmer in den Monaten 06/2012 bis 09/2012 in Höhe von 9.725,01 € (= 16,60% von einer Bruttolohnsumme von 58.584,40 €)
- 7 gewerbliche Arbeitnehmer in den Monaten 10/2012 bis 11/2013 in Höhe von 32.648,30 € (= 16,60% von einer Bruttolohnsumme von 196.676,52 €)
Dabei stützt sich der Kläger auf eine nach einem Betriebsbesuch des Klägers am 12. Mai 2015 von einem seiner Mitarbeiter erstellte Übersicht, die der Beklagte, jedenfalls nach der vorliegenden Kopie, gestempelt und unterzeichnet und im Laufe des Verfahrens nicht bestritten hatte, wobei eine ausführliche Erörterung im Gütetermin am 25. Februar 2016 vor dem Arbeitsgericht Berlin stattgefunden hatte.
Inhaltlich streiten die Parteien darüber, ob es sich bei dem Herstellen bzw. Ausbringen einer Polyurea-Folie um eine bauliche Leistung im Sinne des VTV handelt, denn im Betrieb des Beklagten werden seit 2011 ausschließlich derartige Tätigkeiten erbracht. (Polyurea ist ein dampfdiffusionsoffener, feuchtigkeitsdichter Zwei-Komponenten-Kunststoff (teilweise mit weiteren Komponenten), der im Spritzverfahren naht- und fugenlos aufgebracht wird und am Untergrund haftet, ohne sich mit ihm zu verbinden).
Während der Kläger das Ausbringen der Polyurea-Folie als bauliche Leistung ansieht, meint der Beklagte, dass das keine solche sei. Bauliche Leistungen seien nach dem VTV "die Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken". Es gebe vielfältige Polyurea-Einsatzgebiete. Eine Beschichtung im eigentlichen Sinne liege nicht vor. Es handele sich um eine Art "vorgehangene Folie" in Form einer Ummantelung als lose Spritzfolie. Dabei werde es teilweise zum Säureschutz genutzt. Selbst wenn man annehmen würde, dass der VTV grundsätzlich auf den Betrieb des Beklagten anzuwenden wäre, sei er als Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 6) oder als Betrieb der Säurebauindustrie (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 10) ausdrücklich wieder aus dem Geltungsbereich ausgenommen. Dass die Verarbeitung des Polyurea-Stoffes keine bauliche Leistung sei, solle durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens ermittelt werden.
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 54.619,52 EUR verurteilt. Mit der Montage der Flüssigfolie aus Polyurea, die sofort aushärte, belastbar sowie dauerelastisch und resistent gegen Säure sei, erbringe der Beklagte eine Bauleistung im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV. Denn die Tätigkeit diene der Erstellung oder Instandsetzung eines Bauwerkes, da damit Arbeiten gemeint seien, die irgendwie, wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet der Errichtung und Vollendung von Bauwerken dienen würden. Soweit der Beklagte mit der Beschichtung von Schienen und Streustromisolierungen an Brücken andere Arbeiten vorgetragen habe, die in der Firma des Beklagten und nicht im Rahmen von Bauvorhaben erledigt würden, ergebe sich aus dem Vortrag des Beklagten nicht, dass diese Arbeiten zeitlich überwogen hätten.
Gegen dieses den Beklagtenvertretern am 28. Juni 2016 zugestellte Urteil legten diese am 22. Juli 2016 Berufung ein und begründeten diese nach entsprechender Verlängerun...