Entscheidungsstichwort (Thema)

Konsultationsverfahren zur Massenentlassung in einem beherrschten Unternehmen. Nichtige betriebsbedingte Kündigung bei unvollständiger Information des Betriebsrats über die Hintergründe der Betriebsstilllegung infolge Auftragsentzugs durch das beherrschende Unternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Konsultation mit dem Betriebsrat ist bei einer Massenentlassung nur dann ordnungsgemäß, wenn in einem faktisch abhängigen Unternehmen nicht nur die vordergründigen Gründe, sondern die Hintergründe ausführlich mitgeteilt werden.

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 3a

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 23.07.2015; Aktenzeichen 38 Ca 2751/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juli 2015 - 38 Ca 2751/15 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 9. Februar 2015 nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 9.522,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsstilllegung sowie hilfsweise über die Zahlung eines Nachteilsausgleichs.

1.

Der Kläger ist 55 Jahre alt und verheiratet. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Er ist seit dem 1. September 1977 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Angestellter im Bereich Gepäckermittlung (Lost & Found) beschäftigt und auf dem Flughafen Sch. in Brandenburg in Vollzeit mit einem Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. 3.174,00 EUR beschäftigt und Mitglied des Betriebsrates.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der W. Unternehmensgruppe. Die W. erbringt Dienstleistungen in den Bereichen Aviation, Facility und Industrie. Die W. Aviation Service Holding ist ein führender Spezialist für Flughafendienstleistungen. Kerngeschäft sind bodennahe Verkehrsdienstleistungen für Flughäfen und Fluggesellschaften, die das Unternehmen überwiegend mit eigenen Mitarbeitern erbringt. Im Einzelnen sind dies Airport Service, Ground Service, Passage Service, Cargo Service und Airport Personal Service.

Die Beklagte erbrachte mit insgesamt ca. 190 Arbeitnehmern weitgehend auf dem Flughafen Berlin-Tegel sowie mit zuletzt noch 14 Arbeitnehmern auf dem im Bundesland Brandenburg gelegenen Flughafen Berlin-Sch. verschiedene Dienstleistungen im Bereich der Passagierabfertigung (Passage Service). Im Bereich Check-In waren ca. 123 Arbeitnehmer tätig, im Bereich Gepäckermittlung (Lost & Found) ca. 41 Arbeitnehmer, davon 14 auf dem Flughafen Sch., im Bereich Datenbasis (IT-seitige Flugvorbereitung) 7 Arbeitnehmer und im Bereich VIP-Service (Betreuung der VIP-Lounge in Tegel) ca. 3 Arbeitnehmer tätig. Weitere Tätigkeiten entfaltete die Beklagte nicht. Einzige Auftraggeberin der Beklagten war die G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB).

Die GGB wurde im Jahre 2008 durch die W. Gruppe erworben. Im Jahre 2011/2012 erfolgten eine organisatorische und eine rechtliche Trennung der verschiedenen Geschäftsbereiche der GGB in Passage bzw. Passagierabfertigung, Rampe bzw. Vorfeld, Verwaltung und Werkstatt. Während die Verwaltung bei der GGB verblieb, wurde der Bereich Werkstatt von der W. Airport Werkstatt Service Berlin GmbH & Co. KG, der Bereich Rampe bzw. Vorfeld von der AGSB A. G. S. Berlin GmbH & Co. KG und der Betrieb Passage bzw. Passagierabfertigung von der Beklagten fortgeführt.

Ob im Jahre 2013 sämtliche Aufträge von der GGB in die W. C. GmbH & Co. KG transferiert wurden oder ob dieses nur zu ca. einem Drittel geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls beschäftigte die GGB spätestens Ende 2013 keine Arbeitnehmer mehr.

Am 30. Juni 2014 endete der Auftrag der Passagierabfertigung am Flughafen Sch. für die Beklagte und wurde zum 1. Juli 2014 von der GGB der PSS GmbH & Co. KG übertragen. Gesellschafter der Komplementär GmbH, der P. S. Sch. GmbH (PSS), sind die GGB und ein Herr R. Sch., der nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerseite im Rahmen eines Treuhandvertrages an Weisungen der W.-Konzernleitung gebunden ist.

Am 15. September 2014 wurde die P. GmbH gegründet. Gegenstand der Gesellschaft ist unter anderem die "Durchführung von Treuhandgeschäften", Herr R. Sch. wurde zu deren Geschäftsführer bestellt. Deren Geschäftsadresse befindet sich in einem Mehrfamilienhaus in der A.str. 9, 17... G...... Unter dieser Anschrift residiert auch die Firma P. S. T. GmbH (PST). Alleingesellschafter der Fa. PST ist laut Handelsregister die Fa. P. GmbH.

Die GGB ist die einzige Kommanditistin der Beklagten. Die Kommanditanteile der GGB werden von einem Unternehmen der W.-Gruppe gehalten. Komplementärinnen der Beklagten sind die Aviation P. S. Berlin Beteiligungs GmbH und die G. Berlin Beteiligungs GmbH. Deren Gesellschafter sind mit Herrn B. A. einerseits und Herrn G. B. und Herrn Dr. M. Sch. andererseits jeweils natürliche Personen. Die Beklagte gehört deshalb rechtlich ...

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