Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensfehlerhafte Verlängerung einer befristeten Tätigkeitsübertragung. Doppelte Billigkeitskontrolle des Direktionsrechts. Interessenabwägung im Rahmen von § 32 TVöD nicht entbehrlich. Übergabe der Tätigkeit als Zeitpunkt der Billigkeitskontrolle
Leitsatz (amtlich)
1. Die befristete Übertragung einer Führungsposition auf Zeit nach § 32 Abs. 3 TVöD durch arbeitgeberseitigem Direktionsrecht unterliegt einer doppelten Billigkeitskontrolle nach § 106 GewO.
2. Die nach § 106 GewO erforderliche Interessenabwägung haben die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 32 TVöD nicht vorweggenommen.
Normenkette
TVG § 1; TVöD § 32; BGB § 315 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.11.2019; Aktenzeichen 58 Ca 6277/19) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. November 2019 - 58 Ca 6277/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin die Aufgaben einer Sachgebietsleiterin der Entgeltgruppe 11 TVöD im Rahmen einer "Führung auf Zeit" lediglich befristet gemäß § 32 TVöD und nicht unbefristet übertragen werden konnten.
Sie ist seit dem 1.März 1992 bei der Beklagten in der Zentralstelle A als vollbeschäftigte Angestellte auf unbestimmte Zeit beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 2. März 1992 nebst Änderungsvereinbarung (Bl. 8 und 9 der Akte). Danach bestimmt sich das Arbeitsverhältnis unter anderem nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der Klägerin sind die Aufgaben einer Sachbearbeiterin übertragen. In dieser Aufgabe erhielt sie zuletzt Entgelt der Entgeltgruppe 9 c TVöD.
Mit einer internen Stellenausschreibung suchte die Beklagte eine Sachgebietsleiterin/einen Sachgebietsleiter für den Bereich "Anträge Einzelner auf Akteneinsicht" nach der Entgeltgruppe 11 TVöD. Die Besetzung dieser Stelle sollte im Rahmen einer "Führung auf Zeit" zunächst auf vier Jahre befristet sein. Für die Einzelheiten dieser Stellenausschreibung wird auf Bl. 31 der Akte Bezug genommen.
Die Klägerin bewarb sich erfolgreich auf diese Stellenausschreibung. Ihr wurde die Aufgabe einer Sachgebietsleiterin im Referat AU 1 zunächst zur Probe und dann mit Wirkung vom 1. Juli 2013 befristet bis zum 31.Dezember 2016 übertragen Bl. (10 d.A.). Unter Beibehaltung ihrer Eingruppierung in der Entgeltgruppe 9 erhielt sie Zulagen- und Zuschlagszahlungen gemäß § 32 Abs. 3 S. 2 TVöD. Mit Schreiben vom 19.Dezember 2016 (Bl. 11 d. A.) verlängerte die Beklagte ab dem 1. Januar 2017 die Übertragung der "Führung auf Zeit" als Sachgebietsleiterin für die Dauer von weiteren 4 Jahren. In diesem Schreiben wies sie zur Begründung der wiederum nur befristeten Übertragung darauf hin, dass eine dauerhafte Übertragung der Sachgebietsleitung derzeit aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht möglich sei.
Im Mai 2017 entschied die Behördenleitung vor dem Hintergrund einer Organisationsuntersuchung, aus stellenwirtschaftlichen und organisatorischen Gründen Führungsfunktionen nach § 32 TVöD nur noch begrenzt bis zum 30.Juni 2019 zu übertragen. Für die Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf den Vermerk vom 27. April 2017, der dieser Entscheidung zugrunde lag (Bl. 32 bis 34 d. A.), Bezug genommen. Nach Abschluss dieser Organisationsuntersuchung beschloss die Beklagte, ein Referat der Abteilung Auskunft aufzulösen und in einem zweiten Schritt die Anzahl der Sachgebiete in den beiden verbleibenden Referaten auf 3 Sachgebiete zu reduzieren. Aufgabenübertragungen im Rahmen der Führung auf Zeit sollten generell bis zum 30. Juni 2019 begrenzt werden. Für die Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf den Vermerk vom 14. Januar 2019 (Bl. 35 ff. d. A.) Bezug genommen.
Nachdem die Leiterin des Referats für Personalangelegenheiten der Klägerin ebenso wie vier weiteren Sachgebietsleiter/innen am 13. Februar 2019 mitgeteilt hatte, dass die Übertragung der "Führung auf Zeit" vorzeitig zum 30. Juni 2019 beendet werde, machte die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26. April 2019 (Bl. 14 ff.d.A.) Ansprüche auf Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz im Rahmen einer höherwertigen Tätigkeit und daraus folgend Eingruppierung in der Entgeltgruppe 11 TVöD geltend. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Mai 2019 unter Hinweis auf die geplante Organisationsanpassung ab. Mit Schreiben vom 13.Mai .2019 (Bl. 19 und 20 der Akte) teilte die Beklagte dann der Klägerin mit, dass die "Führung auf Zeit" vorzeitig mit Ablauf des 30.Juni 2019 beendet werden.
Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht am 22. Mai 2019 eingegangenen Klage beansprucht die Klägerin die Übertragung der höherwertigen Tätigkeit auf Dauer und daraus folgend Entgelt nach der Entgeltgruppe 11.
Die Klägerin hat behauptet, ein sachlicher Grund für eine nur befristete Übertragung der...