Entscheidungsstichwort (Thema)

Streikposten auf gepachtetem Betriebsparkplatz. Unbegründete Unterlassungsklage der Arbeitgeberin bei Aufstellung der Streikposten vor dem vom Betriebsparkplatz zugänglichen Haupteingang

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB gewährt der Besitzerin durch den Abwehranspruch ein dem § 1004 BGB entsprechenden Schutz gegen von außen kommende Störungen ihrer Sachherrschaft, obwohl ihr an der Sache kein dingliches Recht zusteht. Die Vorschrift gewährt der Arbeitgeberin einen Unterlassungsanspruch, wenn sie durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört wurde und weitere Störungen zu besorgen sind.

2. Eine Einschränkung des Besitzschutzanspruches des § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Wertentscheidungen der Grundrechte, die über die Generalklausel des § 242 BGB auch bei der Anwendung und Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften zu beachten sind, kommt unter dem Gesichtspunkt einer Kollision mit einem höherwertigen Rechtsgut in Betracht. Zu den in diesem Zusammenhang nach § 242 BGB zu berücksichtigenden höchstrangigen Rechtsgütern innerhalb der Rechtsordnung gehört die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte kollektive Koalitionsfreiheit, deren Schutzbereich sich nicht auf Tätigkeiten beschränkt, die für die Erhaltung und Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich sind, sondern alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen durch die Koalition und ihre Mitglieder umfasst.

3. Das von § 862 BGB vermittelte Recht der Arbeitgeberin, ihren Besitz ohne die von der streikenden Gewerkschaft vorgenommenen und weiterhin zu besorgenden Störungen zu nutzen, unterfällt dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Einschränkung des Besitzrechtes der Arbeitgeberin durch § 242 BGB muss im Lichte der Bedeutung des durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechts der Arbeitgeberin betrachtet werden, nicht von ihr gestattete Aktivitäten Dritter auf ihrem Betriebsgelände zu unterbinden, wie umgekehrt die Bedeutung der Ausübung des Freiheitsrechtes aus Art. 9 Abs. 3 GG im Verhältnis zu dem Besitzrecht der Arbeitgeberin gewichtet werden muss.

4. Die Aufstellung von Streikposten und die Benutzung streikpostentypischer Materialien ist grundsätzlich von der Koalitionsfreiheit umfasst unabhängig davon, ob sich streikende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der bestreikten Arbeitgeberin oder Beschäftigte der den Streik tragenden Gewerkschaft in dieser Weise betätigen, solange die Aktivitäten nicht darüber hinausgehen, mit Mitteln des gütlichen Zuredens und des Appells an die Solidarität arbeitswilliger Beschäftigter zur Teilnahme am Streik zu bewegen.

5. Zweck von Streikposten ist es, das Gespräch mit arbeitswilligen Beschäftigten der bestreikten Arbeitgeberin zu suchen. Dieser Zweck wird bei einer Aufstellung der Streikposten an den Zufahrten eines Parkplatzes vereitelt, da selbst Beschäftigte, die grundsätzlich bereit sind, sich von Streikposten ansprechen zu lassen, bei der Einfahrt in das Parkplatzgelände wenig Neigung zeigen werden, sich auf einen solchen Kommunikationsversuch einzulassen (geschlossene Seitenscheiben, Konzentration auf die Einfahrt in das Parkplatzgelände, Gefahr der Staubildung beim Anhalten zum Zwecke eines Gesprächs mit Streikposten), und es den Streikposten koalitionsrechtlich nicht gestattet ist, die Einfahrt in das Parkplatzgelände durch das Zustellen der Einfahrt oder durch den Aufbau von Hindernissen zu erschweren, um wegen solcher Hindernisse anhaltende Beschäftigte zum Öffnen der Seitenscheibe zu bewegen und so ein Gespräch zu erzwingen.

6. Die Gelegenheit, an die Solidarität an sich arbeitswilliger Beschäftigter zu appellieren und sie zur Streikteilnahme zu bewegen, ist deutlich höher, wenn die Streikposten sich statt an der Einfahrt zum Firmenparkplatz an einer Stelle auf dem Parkplatz befinden, an der die Beschäftigten auf dem Weg zum Eingang des Hauptgebäudes vorbeilaufen müssen.

7. Wird das Grundrecht der Arbeitgeberin aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit ihrer Rechtsposition als Pächterin eines Parkplatzgeländes durch Streikposten einer Gewerkschaft nur geringfügig berührt und wird die von der Arbeitgeberin vorgenommene Zweckbestimmung des Parkplatzgeländes dadurch nicht eingeschränkt, hat die Arbeitgeberin diese Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition hinzunehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn ihr Unterlassungsbegehren ersichtlich nur darauf abzielt, eine Gesprächsanbahnung der Gewerkschaft mit arbeitswilligen Beschäftigten zu verhindern, und diese Betätigung der Gewerkschaft zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben aus Art. 9 Abs. 3 GG angesichts eines geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades der Beschäftigten unerlässlich ist.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 13-14; BGB §§ 242, 862 Abs. 1 S. 2, § 1004

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 07.04.2016; Aktenzeichen 41 Ca 15029/15)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 09.07.2020; Aktenzeichen 1 BvR 719/19, 1 BvR 720/19)

BAG (Urteil vom 20.11.2018; Aktenzeichen 1 AZR 189/17)

 

Tenor

I. Au...

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