Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Wahlbewerbers mehr als zwei Wochen nach Stillegung des Betriebsteils, für den er zum Betriebsrat kandidiert hatte
Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer Änderungskündigung angehört, so führt es nicht zur Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wenn er dem Arbeitnehmer nach Ablehnung des Änderungsangebotes nunmehr eine Beendigungskündigung ausspricht.
2. Selbst wenn man darin, daß der Arbeitnehmer nach einer als Kündigungsgrund bereits verfristeten Betriebsstillegung ein Versetzungsangebot des Arbeitgebers ablehnt, eine neue für die Kündigung maßgebende Tatsache im Sinne des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB sehen wollte, könnte sich der Arbeitgeber darauf im Kündigungsschutzprozeß doch nicht stützen, wenn der Arbeitnehmer seine Ablehnung erst nach Anhörung des Betriebsrats erklärt hat, weil sich die Betriebsratsanhörung nicht auf noch in der Zukunft liegende Umstände beziehen kann.
3. Die Rechtskraft eines Urteils, das die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung gegenüber einem Wahlbewerber mit der Begründung festgestellt hat, es habe keine Betriebsstillegung i. S. des § 15 Abs. 4 KSchG vorgelegen, steht einer gegenteiligen Beurteilung im Folgeprozeß über eine erneute ordentliche Kündigung/nicht entgegen.
4. Die Stillegung eines nach § 4 Satz 1 BetrVG als Betrieb geltenden Betriebsteils stellt eine Betriebsstillegung i. S. des § 15 Abs. 4 KSchG dar. Dazu genügt die Auflösung der organisatorischen Einheit mit der Folge, daß die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer nunmehr zu sog. Ausstrahlungen eines anderen Betriebs werden.
5. In einem solchen Fall findet der 1. Abschnitt des KSchG uneingeschränkte Anwendung. Deshalb ist der Arbeitgeber gehalten, einen Arbeitnehmer, der sich mit seiner Versetzung einverstanden erklärt hat, in eine Sozialauswahl mit den dort bereits Beschäftigten einzubeziehen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 3 S. 1, § 15 Abs. 4; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 03.11.1988; Aktenzeichen 4 Ca 333/88) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. November 1988 – 4 Ca 333/88 – wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der am 31. Dezember 1935 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Er war für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Juli 1975 als Bezirksverkaufsleiter in Berlin zu einen Monatsgehalt von zuletzt durchschnittlich DM 12.000,– brutto tätig. Nachdem die Niederlassung Berlin bereits seit 1980 keinen eigenen Leiter mehr hatte, blieben seit 1. Juli bzw. 1. Oktober 1986 auch die Leitungspositionen für das Verkaufsbüro und den Technischen Kundendienst unbesetzt. Dies stand im Zusammenhang mit einer geplanten Reorganisation des Unternehmens, wonach u.a. die Niederlassung Berlin geschlossen und die hiesigen Kunden künftig vom Regionalbüro Hamburg aus betreut werden sollten.
Mit Schreiben vom 24. März 1987 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. September 1987. Dieser Kündigung widersprach der am 31. März 1987 für die Niederlassung Berlin gewählte Betriebsobmann unter Hinweis darauf, daß der Kläger Mitglied des Wahlvorstands und Wahlbewerber gewesen war. Der Kläger kandidierte in der Folgezeit auch für den am 15. Juli 1987 im Regionalbüro Hamburg gewählten Betriebsrat. Ein Versetzungsangebot der Beklagtem vom 23. Juli 1987 in das Verkaufsbüro Stuttgart (Bl. 32 d.A.) ließ der Kläger durch Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 3. August 1987 (Bl. 33–35 d.A.) unter Hinweis auf seine Bereitschaft ablehnen, sich nach Norddeutschland versetzen zu lassen, um von dort aus das Verkaufsgebiet Berlin auch weiterhin betreuen zu können.
Unter dem 20. November 1987 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein weiteres Versetzungsangebot für den Vertriebsbezirk Wiesbaden/Mainz. Gleichzeitig unterrichtete sie den Betriebsrat davon, eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Änderungskündigung zu beabsichtigen, weil eine Weiterbeschäftigung des Klägers in Berlin nicht mehr möglich und ein anderer freier Arbeitsplatz nicht vorhanden sei. Beiden Kündigungen widersprach der Betriebsrat mit Schreiben vom 25. bzw. 27. November 1987 (Bl. 36–39 d.A.), wobei er u.a. rügte, daß nicht ersichtlich sei, welche sozialen Gesichtspunkte die Beklagte bei der Auswahl des Klägers als zu kündigenden Arbeitnehmer der Region Nord berücksichtigt habe. Der Kläger lehnte die angebotene Versetzung mit Schreiben vom 30. November 1987 (Bl. 48 f. d.A.) ab, wobei er noch einmal sein Einverständnis mit einer Versetzung nach Norddeutschland zum Ausdruck brachte. Daraufhin erklärte die Beklagte ihm durch Schreiben vom 7. Dezember...