Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsbestimmungen nach Abs. 4 EV
Leitsatz (amtlich)
Das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag (juris = KdqVerlÖVG) vom 20. August 1992 (BGBl. I, 1546) bis zum 31. Dezember 1993 ist verfassungsgemäß.
Normenkette
Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20.08.1992 (BGBl. I, 1546) bis zum 31. Dezember 1993
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 22.04.1994; Aktenzeichen 22 Ca 1165/94) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. April 1994 – 22 Ca 1165/94 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die das beklagte Land gegenüber dem Kläger unter Berufung auf die Anlage 1 Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Ziff. 1 Abs. 4 Nr. 1 zum Einigungsvertrag (im folgenden: Abs. 4 Nr. 1 EV) ausgesprochen hat.
Der am 1. Juni 1953 geborene Kläger leistete ab November 1972 seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR, nachdem er im Juni 1972 sein Abitur abgelegt hatte. Er wurde in die Mot-Schützen-Kompagnie eines Panzerregiments eingesetzt. Ab Anfang Mai 1973 leistete er seinen Wehrdienst nicht mehr in der Kompagnie selbst, sondern versah seinen Dienst im Regimentsstab als Stabsschreiber. Hier hatte der Kläger geheimzuhaltende Angelegenheiten zu bearbeiten.
Am 5. Juni 1973 verpflichtete sich der Kläger handschriftlich (Bl. 15 d.A.) zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR. In dieser Erklärung heißt es u.a., daß der Kläger sich bereiterklärt, alle ihm bekannt werdenden und bekannt gewordenen Tatsachen negativer oder feindlicher Art unverzüglich dem zuständigen Mitarbeiter des MfS mitzuteilen und daß er sich den Decknamen „Martin” ausgewählt habe. Nachfolgend berichtete der Kläger schriftlich (vgl. Bericht vom 20. August 1973, Bl. 54 bis 59 d.A.) und mündlich über Vorkommnisse und Äußerungen in der Kompagnie. Die mündlichen Mitteilungen wurden in sogenannten Treffberichten (Bl. 53–55 und 60–62 d.A.) durch einen Mitarbeiter des MfS festgehalten. Der letzte Treffbericht stammt vom 10. April 1974 (Bl. 62 d.A.). Unter dem 1. September 1975 wurde über den Kläger eine sogenannte Abschlußeinschätzung (Bl. 63 d.A.) gefertigt.
Seit dem 1. August 1978 war der Kläger bei dem Rechtsvorgänger des Bezirksamtes Lichtenberg von Berlin als Lehrer beschäftigt; seit dem 1. September 1990 war der Kläger als stellvertretender Direktor bzw. Konrektor tätig. Mit der Herstellung der Einheit Deutschlands ging das Arbeitsverhältnis auf den Beklagten über. Am 14. Januar 1991 füllte der Kläger einen ihm vorgelegten Personalfragebogen (Bl. 14–14 R. d.A.) aus und beantwortete die in dem Fragebogen enthaltenen Fragen, ob er für das MfS tätig gewesen sei und ob er eine Verpflichtungserklärung unterschrieben habe, mit nein. Mit einem Schreiben vom 10. August 1993 (Bl. 16/17 d.A.) teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im folgenden: der Bundesbeauftragte) dem Beklagten u.a. mit, daß der Kläger beim MfS als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit mit dem Decknamen „Martin” geführt worden sei, eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe und auch Berichte geliefert habe. Nachdem dem Kläger dies zur Kenntnis gegeben worden war, wandte dieser sich mit einem Schreiben vom 26. August 1993 (Bl. 64–66 d.A.) an den Beklagten und nahm zu den Vorwürfen, für das MfS tätig gewesen zu sein und den Personalfragebogen falsch ausgefüllt zu haben, im einzelnen Stellung. Am 1. September 1993 wurde daraufhin der Kläger von Vertretern des Beklagten angehört. Über diese Anhörung wurde ein Protokoll (Bl. 67/68 d.A.) gefertigt. Sowohl in seinem Schreiben von 26. August 1993 als auch in der Anhörung vom 1. September 1993 gab der Kläger an, daß ihm der Text der Verpflichtungserklärung bei dem Ausfüllen des Personalfragebogens nicht mehr gegenwärtig gewesen sei und er die Vorkommnisse während seiner Armeezeit lediglich bezogen auf Sicherheitsfragen der NVA gesehen habe.
Mit einem Schreiben vom 28. Dezember 1993 (Bl. 5–7 d.A.) kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unter Hinweis auf Abs. 4 Nr. 1 EV zum 28. Februar 1994. Mit der am 11. Januar 1994 bei dem Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung und begehrt weiterhin seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Lehrer.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen für eine Kündigung im Sinne von Abs. 4 Nr. 1 EV nicht vorliegen würden. Es habe ihm durchgehend das Bewußtsein gefehlt, für das MfS tätig gewesen zu sein und sich diesem verpflichtet zu haben. Dieses Bewußtsein habe er auch nicht beim Ausfüllen des Personalfragebogens und des Formbl...