Entscheidungsstichwort (Thema)
„Schein-Sozietät” von Rechtsanwälten. „Schein-Vollmachtsurkunde” nach § 174 S. 1 BGB
Leitsatz (amtlich)
Der Kläger, angestellter Rechtsanwalt einer (Schein-)Sozietät, wehrt sich gegen die ihm schriftlich erklärte Kündigung u. a. mit der Rüge, der Kündigung sei eine Vollmachtsurkunde entgegen § 174 S. 1 BGB nicht beigefügt gewesen. Im Berufungsverfahren wird unstreitig, daß eine Sozietät zwischen den vermeintlichen Sozien tatsächlich nicht besteht.
Normenkette
BGB § 174 S. 1, § 242
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 22.05.1995; Aktenzeichen 5 Ca 27 586/94) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. Mai 1995 – 5 Ca 27 586/94 – teilweise abgeändert:
Die Klage wird in vollem Umfange abgewiesen.
II. Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtgläubiger 11.614,26 DM (elftausendsechshundertvierzehn 26/100) zuzüglich 4 % Zinsen auf 11.384,83 DM seit dem 16. August 1995 und auf 229,43 DM seit dem 14. September 1995 zu zahlen.
III. Die Kosten der Berufung haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen; die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 BGB).
I. Mit Schreiben vom 2. Juni 1993 (Ablichtung Bl. 5 d.A.), dessen Kopf u. a. den Text
„Rechtsanwälte
…
Berlin – Potsdam”
enthält, teilte der Beklagte zu 1.) dem Kläger u. a. folgendes mit:
„… im Anschluß an unser Gespräch bestätige ich Ihnen hiermit unsere gestrige telefonische Vereinbarung, wonach wir uns dahin geeinigt haben, daß Sie mit Wirkung vom 14. Juni 1993 als angestellter Rechtsanwalt bei uns tätig sein werden.”
Mit Schreiben vom 31. August 1994 (Ablichtung Bl. 6 d.A.) sprach der Beklagte zu 1.) – wiederum unter vorerwähntem Briefkopf – die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1994 aus.
Der Kläger teilte dem Beklagten zu 1.) darauf mit Schreiben vom 1. September 1994 (Ablichtung Bl. 7 d.A.) u. a. mit:
„… hiermit weise ich Ihre Kündigung vom 31.08.1994 nach Maßgabe des § 17l BGB zurück, da dem Kündigungsschreiben keine Vollmacht der Herren … beigefügt war. …”.
II. Mit seiner am 20. September 1994 eingereichten, am 5. Oktober 1994 zugestellten und ursprünglich (allein) gegen den Beklagten zu 1.) gerichteten Klage begehrte der Kläger zunächst neben der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 31. August 1994 die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, ehe er die Klage auf Vergütungsansprüche nach Annahmeverzugsgrundsätzen sowie Erstattung von Versicherungsprämien seiner Berufshaftpflichtversicherung umstellte und auf die Beklagten zu 2.) und 3.) erstreckte.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 25.271,65 DM brutto nebst 4 v.H. Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit sowie 490,35 DM nebst 4 v.H. Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben im ersten Rechtszug geltend gemacht, § 174 BGB sei seinem Sinn nach nur anzuwenden, wenn der Erklärungsempfänger keine Gewißheit habe, der Erklärende sei wirklich bevollmächtigt und der Vertretene müsse die Erklärung gegen sich gelten lassen. Hier habe für den Kläger zu keinem Zeitpunkt irgendeine Ungewißheit bestehen können, nachdem alle Gespräche und/oder Verhandlungen ausschließlich mit dem Beklagten zu 1.) stattgefunden hätten. Auch das Schreiben vom 2. Juni 1993 sei vom Beklagten zu 1.) diktiert und unterschrieben worden. Eine Vollmacht „der Partner der Sozietät” sei weder vorgelegt noch verlangt worden (Schriftsatz vom 12. Januar 1995 S. 2 [Bl. 23 d.A.]). Allein der Beklagte zu 1.) sei „bevollmächtigt”, die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse im einzelnen zu regeln (aaO. S. 3 [Bl. 24 d.A.]). Überdies habe der Kläger, wenn er der Auffassung sei, daß konkludent ein Arbeitsvertrag mit „der Sozietät” entstanden sei, mit dem Beklagten zu 1.) allein den „falschen Beklagten” verklagt. Gegen „die Sozietät” könne er die Klage fristwahrend (§ 4 Satz 1 KSchG) nicht mehr nachholen (Schriftsatz vom 25. Januar 1995 S. 2 [Bl. 33 d.A.]). Schließlich seien die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 615 BGB nicht gegeben, müsse der Kläger sich auch anderweitige Verdienste aus eigenen Mandatsverhältnissen (u. a. 487,13 DM für Oktober 1994 bis Januar 1995) anrechnen lassen.
III. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit seinem am 22. Mai 1995 verkündeten Urteil wegen eines Teilbetrags der Vergütungsforderung (18.000,– DM brutto für Oktober 1994 bis Januar 1995 ./. Eigenverdienst von 487,13 DM brutto = 17.512,87 DM brutto abzüglich der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit [6.228,35 DM netto] sowie Prozeßzinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag) stattgegeben, die Klage im übrigen abgewies...