rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristgerechte statt möglicher fristloser Kündigung des Arbeitgebers. STASI-Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes (Krankenschwester im Range eines Oberleutnants) wegen seiner langjährigen Tätigkeit im Medizinischen Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit fristlos entlassen werden darf.
2. Anstatt einer außerordentlichen fristlosen, kann der Arbeitgeber auch eine ordentliche fristgerechte Kündigung erklären.
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5; AGB-DDR § 55
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 22.07.1992; Aktenzeichen 84 A Ca 20.704/91) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22. Juli 1992 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 84 A Ca 20.704/91 – wie folgt abgeändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die 1947 geborene, ledige Klägerin, die Mutter eines 1980 geborenen Sohnes ist, absolvierte eine Ausbildung als Säuglings- und Kinderkrankenschwester, die sie am 15. Juli 1967 erfolgreich in der ehemaligen DDR abschloß. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in Kinderkliniken in … und … als Kinderkranken- bzw. Abteilungsschwester trat sie 1976 in die Dienste des Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Die Klägerin war bis zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR als Krankenschwester für die ambulante Betreuung der Mitarbeiter des Nachrichtendienstes eingesetzt. Welche Bedeutung der Medizinische Dienst des MfS hatte, geht unter anderem aus der „Ordnung über die Organisation des Gesundheitsschutzes und der Arbeit des Medizinischen Dienstes im Ministerium für Staatssicherheit” vom 2. Februar 1976 hervor (Bl. 66 d.A.). In dem genannten Grundsatzdokument heißt es unter anderem:
„Auf der Grundlage der Beschlüsse der Partei- und Staatsführung erfüllt das Ministerium für Staatssicherheit wichtige politisch-operative und militärische Aufgaben zum Schutz der sozialistischen Ordnung und zur Sicherheit des friedlichen Lebens der Bürger in der Deutschen Demokratischen Republik.
Das erfordert von allen Angehörigen und Zivilbeschäftigten des Ministeriums für Staatssicherheit eine ständige hohe Einsatz- und Kampfbereitschaft sowie die Befähigung, hohen physischen und psychischen Belastungen standzuhalten.
Die erfolgreiche Lösung aller Aufgaben erfordert vor allem eine straffe Leitung und Organisation der Medizinischen Dienste, hohes sozialistisches Bewußtsein und eine vorbildliche Einsatzbereitschaft sowie umfassende politische und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter in den Medizinischen Diensten.
Zu den Aufgaben gehörte auch die Festigung des sozialistischen Bewußtseins und ständige militär-medizinische Qualifizierung der Kader der Medizinischen Dienste und Gewährleistung einer hohen Einsatzbereitschaft unter allen Bedingungen.”
Die Klägerin, die in der Zeit von 1976 bis 1979 die Funktion einer Parteigruppenorganisatorin innehatte, bekleidete zuletzt den Rang eines Oberleutnants und erhielt nach ihren Angaben eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.500,– Mark.
Seit dem 16. März 1990 war die Klägerin als leitende Schwester (Pflegedienstleiterin) im Feierabendheim „…”, einer Einrichtung des Rates des Stadtbezirks Berlin- …, dem Rechtsvorgänger des Beklagten, tätig. Sie erhielt zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 2.600,– DM.
Am 14. August 1991 wurde unter anderem in Anwesenheit des Vorsitzenden des Personalrates mit der Klägerin ein Personalgespräch geführt, in dem sie im Widerspruch zu ihren Angaben im Personalbogen vom 5. Juli 1990 und im Personalfragebogen vom 2. November 1990 erstmalig angab, daß sie nicht beim Ministerium des Inneren, sondern im Medizinischen Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit, zuletzt im Range eines Oberleutnants, tätig gewesen sei. Nachdem das Bezirksamt … von Berlin den Personalrat mit Schreiben vom 22. August 1991 zu der beabsichtigten Entlassung der Klägerin angehört hatte (Bl. 32 d.A.), von dem gegen die Kündigung Einwendungen erhoben worden waren (Bl. 33 d.A.), richtete der Bezirksbürgermeister von Berlin … am 29. August 1991 ein Schreiben an die Klägerin, das diese am 30. August 1991 erhielt, in dem es heißt:
„Ordentliche Kündigung
Sehr geehrte Frau …,
hiermit kündigen wir Ihnen das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage des Einigungsvertrages, Anlage I, Kapitel XIX. Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1, Absatz 5 Nr. 2 mit der sich aus § 55 des Arbeitsgesetzbuches der DDR als fortgeltendes Recht ergebenden Frist zum 13. September 1991.
Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
In Auswertung Ihres Personalfragebogens wurde eine Einzelfallprüfung vorgenommen. Nach eigenen Angaben hatten Sie vom 01.11.1976 bis 15.03.1990 ein Arbeitsverhältnis als Krankenschwester mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit. Sie waren für die ambulante Betreuung ...