Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkürzung der Übertragungsfrist für bereits entstandene Urlaubsansprüche
Leitsatz (amtlich)
Ein bereits entstandener Urlaubsanspruch stellt ein sog. wohlerworbenes Recht dar, zu dessen Inhalt auch die Dauer der Übertragbarkeit auf die Zeit nach Ablauf des Urlaubsjahres gehört, so daß der Übertragungszeitraum mangels Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien durch einen nachfolgenden Tarifvertrag nur für künftig entstehende Urlaubsansprüche verkürzt werden kann.
Normenkette
TVG § 1 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1; MTAng-BfA § 47 Abs. 7 UAbs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 05.01.1989; Aktenzeichen 17 Ca 106/88) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Januar 1989 – 17 Ca 106/88 – geändert:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin noch 30 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahre. 1986 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin noch für 1998 Urlaub zusteht.
Die am 28. August 1948 geborene Klägerin steht seit dem 1. Juni 1978 als Verwaltungsangestellte in den Diensten der Beklagten. Auf des Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (MTAng-BfA) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
In der Zeit vom 23. Oktober 1985 bis 24. Mai 1988 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Nachdem die Beklagte sich zunächst unter Hinweis auf die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin geweigert hatte, dieser ab 1. Dezember 1987 Urlaub für 1986 zu gewähren, lehnte sie eine Gewährung dieses Urlaubs nach Genesung der Klägerin unter Berufung auf die Neufassung des MTAng-BfA ab.
Während § 47 Abs. 7 UAbs. 2 MTAng-BfA in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung vorsah, daß Urlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 30. April des folgenden Urlaubsjahres angetreten werden kann, innerhalb von 3 Monaten nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, spätestens jedoch bis zum Ablauf des zweiten auf die Entstehung des Anspruchs folgenden Urlaubsjahres anzutreten ist, verkürzt die durch 45. Änderungstarifvertrag vom 17. Februar 1987 mit Wirkung vom 1. Januar 1987 in Kraft gesetzte Fassung diesen Zeitraum auf den 30. Juni des folgenden Urlaubsjahres.
Nach dem unverändert gebliebenen UAbs. 4 verfällt Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist.
Mit ihrer am 17. Oktober 1988 erhobenen Klage will die Klägerin den Fortbestand ihres Anspruchs auf Urlaub für 1986 in Höhe von 30 Arbeitstagen festgestellt wissen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 5. Januar 1989 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Übertragung des Urlaubs der Klägerin für 1986 vom Fortbestand der zugrundeliegenden tarifvertraglichen Regelung abhängig gewesen sei. De der Übertragungszeitraum lediglich für die Zukunft verkürzt worden sei, habe der 45. Änderungstarifvertrag auch keine Tatbestände mit Rückwirkung geregelt. Dadurch seien zwar möglicherweise Erwartungen, nicht jedoch bereits entstandene Ansprüche der Klägerin beseitigt worden.
Gegen dieses ihr am 5. Februar 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. März 1989 eingelegte und am 4. April 1989 begründete Berufung der Klägerin. Sie ist der Ansicht, der Sachverhalt für den Erwerb des Urlaubsanspruchs 1986 sei bereits endgültig abgeschlossen gewesen und habe deshalb nur den damals geltenden tariflichen Regelungen seiner Übertragbarkeit unterlegen. Zudem habe sich ihr Urlaubsanspruch bei Abschluß des 45. ÄndTV bereits im Übertragungszeitraum befunden. Eine nachträgliche Kürzung des Übertragungszeitraums widerspreche dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr noch 30 Tage Erholungsurlaub aus den Jahre 1986 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und meint, daß die Klägerin noch keine gemäß Art. 14 GG geschützte Rechtsposition erwerben gehabt habe. Der Klägerin könnten allenfalls Ansprüche nach dem Recht zustehen, das im Zeitpunkt der frühesten Realisierbarkeit gegolten habe. Einem stattgebenden Feststellungsurteil würde sie allerdings Folge leisten.
Entscheidungsgründe
1.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG zulässige Berufung der Klägerin ist fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO).
2.
Die Berufung ist sachlich begründet.
2.1
Das für eine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse der Klägerin an einer bloßen Feststellung des Fortbestands ihres Urlaubsanspruchs aus dem Jahre 1986 ergibt sich daraus, daß die Beklagte als juristische Person des öffentlichen Rechts kraft Amtspflicht zur Erfüllung des sich aus einer...