Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit im Arbeitsverhältnis. Auflösungsrecht bei unwirksamer außerordentlicher Kündigung. Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsrechtsstreites. Sämtlichen Parteivertretern zugestellt am 14.2.85

 

Leitsatz (amtlich)

1) Zum Umfang und zu den Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit des Arbeitnehmers, wenn nach einer Betriebsratswahl Flugblätter verteilt werden, in denen die durchgeführte Betriebsratswahl als hingestellt wird.

2) Erweist sich die vom Arbeitgeber ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses als rechtsunwirksam, dann steht ihm ein Auflösungsrecht auch nicht in analoger Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG zu.

3) Zur Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers außerhalb der Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG, wenn der Arbeitgeber zeitlich später weitere Kündigungen ausgesprochen hat, über deren Berechtigung noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.

 

Normenkette

KSchG § 15 Abs. 3; BGB § 626 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1; KSchG § 13 Abs. 1, § 9; BetrVG § 102 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 27.07.1984; Aktenzeichen 18 Ca 142/84)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27. Juli 1984 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 18 Ca 142/84 – teilweise wie folgt abgeändert:

Hinsichtlich des Antrags des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenschlosser weiterzubeschäftigen, wird die Klage abgewiesen.

II. Im übrigen werden die Berufung der Beklagten sowie deren Hilfsantrag zu Ziffer 1) zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

 

Tatbestand

Der 1950 geborene Kläger trat am 2. November 1981 als Maschinenschlosser in die Dienste der Beklagten, die im April 1984 in ihrem Berliner Werk 1.804 Arbeitnehmer beschäftigte. Der Kläger erzielte einen durchschnittlichen Monatsverdienst in Höhe von 3.000,– DM brutto. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte sind tarifgebunden.

Der Kläger war Kandidat für die am 2. und 3. April 1984 im Betrieb der Beklagten in Form der Persönlichkeitswahl durchgeführte Betriebsratswahl, deren Ergebnis der Wahlvorstand am 5. April 1984 bekanntgegeben hatte. Die sogenannte „Mannschaft der Vernunft” errang alle Sitze des 15köpfigen Betriebsrates, während der Kläger Platz 26 belegte und dem neu gewählten Betriebsrat ebensowenig wie die früheren Betriebsratsmitglieder K. und V. angehört.

Am 16. April 1984 verteilte der Kläger zu Schichtbeginn außerhalb des Betriebsgeländes am Werktor ein von ihm und den Arbeitnehmern K. und V. unterzeichnetes Flugblatt (Bl. 9 d.A.), in dem sich die Verfasser zum Ergebnis der Betriebsratswahl äußerten und deren Anfechtung ankündigten. Das Flugblatt wurde im wesentlichen denjenigen Arbeitnehmern der Beklagten ausgehändigt, die bei Schichtbeginn das Werksgelände betraten.

Mit Schriftsatz vom 17. April 1984 leiteten sowohl der Kläger als auch die beiden Mitunterzeichner des Flugblattes beim Arbeitsgericht Berlin ein die Betriebsratswahl betreffendes Anfechtungsverfahren ein, das erstinstanzlich am 8. August 1984 Erfolg hatte, während über die von der Antragsgegnerin eingelegte befristete Beschwerde das Landesarbeitsgericht Berlin bisher noch nicht eine Entscheidung herbeigeführt hat.

Grundlage der Wahlanfechtung ist unter anderem eine Rede, die der Werksleiter der Beklagten am 27. März 1984 auf einer Betriebsversammlung gehalten hatte. Am 28. März 1984 legte die Geschäftsleitung der Beklagten den gedruckten Text der Rede des Werksleiters G. im Betrieb aus. Bereits im Februar bzw. März 1984 hatte die Geschäftsleitung einen auszugsweise gedruckten Text einer vom Werksleiter G. auf der Betriebsversammlung vom 18. Dezember 1983 gehaltenen Rede an die Belegschaft verteilen lassen.

Mit Schreiben vom 25. April 1984 kündigte die Beklagte den Arbeitsvertrag des Klägers außerordentlich zum 2. Mai 1984, nachdem der Betriebsrat am 24. April 1984 seine Zustimmung zur beabsichtigten Entlassung des Klägers erklärt hatte. Die außerordentliche Kündigung wurde von der Beklagten schriftlich wie folgt begründet:

  • „Störung des Betriebsfriedens durch Verteilung eines Flugblattes
  • auf die darin enthaltene Ehrverletzung der neuen gewählten Betriebsratsmitglieder
  • sowie auf die darin enthaltene Ehrverletzung des Werkleiters, H. G., dem Sie unterstellt haben, daß er durch Nennung der Namen K. und V. Wahlbeeinflussung ausüben wollte.”

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 3. Mai 1984 eingegangenen und der Beklagten am 18. Mai 1984 zugestellten Feststellungsklage hat sich der Kläger gegen die von der Beklagten am 25. April 1984 ausgesprochene und ihm am selben Tage zugegangene außerordentliche Kündigung gewandt.

Er hat sich zunächst auf den Standpunkt gestellt, daß die Kündigung allein schon deshalb rechtsunwirksam sei, weil die Beklagte den Betriebsrat vor dem Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört habe. Das Anhörungsschreiben vom 19. April 1984 habe lediglic...

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