Entscheidungsstichwort (Thema)
Geringschätzung des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Ein Fluggastkontrolleur, der vom Arbeitgeber abgemahnt worden ist, weil er dessen Unternehmen gegenüber Praktikanten eine „Scheißfirma” genannt und von „Hungerlohn” gesprochen hat, kann verhaltensbedingt entlassen werden, wenn er kurze Zeit später zahlreiche Fluggäste auf einen Job anspricht und sich dazu von ihnen Visitenkarten geben lässt.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 18.03.2003; Aktenzeichen 16 Ca 28350/01) |
Tenor
1 Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom März 2002 – 16 Ca 28350/01 – geändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1963 geborene Kläger stand seit dem 01. Oktober 1998 als Fluggastkontrolleur in den Diensten der Beklagten.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2001 (Ablichtung B. 39 d.A.) mahnte die Beklagte den Kläger wegen herabsetzender Äußerungen über ihr Unternehmen ab. Dem folgte eine ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 24. September 2001 (Ablichtung Bl. 7 f. d.A.), gestützt auf den Vorwurf, der Kläger habe am 05. September 2001 auf der Suche nach einem neuen Job wiederholt Passagiere um ihre Visitenkarte gebeten.
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden sei, und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.085,32 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten gegenüber Fluggästen sei zwar grundsätzlich geeignet, eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Fluggastkontrolleurs zu rechtfertigen. Der Kläger habe jedoch behauptet, lediglich einen ehemaligen Kollegen als Fluggast auf einen neuen Job angesprochen zu haben, ohne dass die Beklagte daraufhin ihren Vortrag präzisiert habe, weshalb die Erhebung des angebotenen Zeugenbeweises zu einer unzulässigen Ausforschung geführt hätte. Aufgrund ihrer unwirksamen Kündigung schulde die Beklagte dem Kläger auch ohne gesondertes Angebot den verlangten Verzugslohn für November 2001 bis Januar 2002.
Gegen dieses ihr am 06. Juni 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 05. Juli 2002 eingelegte und am 06. August 2002 begründete Berufung der Beklagten. Sie wiederholt ihren noch weitere Vorwürfe gegen den Kläger umfassenden erstinstanzlichen Vortrag und tritt der Annahme eines Ausforschungsbeweises entgegen. Außerdem meint die Beklagte, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der Kläger einen Abkehrwillen nicht nur vielfach erklärt, sondern auch gelebt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er zieht die Ordnungsgemäßheit der Berufungsbegründung in Zweifel und vertritt die Ansicht, die ihm ohnehin zu Unrecht erteilte Abmahnung vom 11. Juli 2001 sei hinsichtlich der ihm mit der Kündigung vorgeworfenen Pflichtverletzung nicht einschlägig gewesen. Im Übrigen sei, wie bereits erstinstanzlich gerügt, die Betriebsratsanhörung fehlerhaft gewesen, weil dem Anhörungsschreiben (Ablichtung Bl. 42 d.A.) nicht zu entnehmen gewesen sei, worauf die Beklagte konkret die beabsichtigte Kündigung habe stützen wollen. Dass daneben eine ausführliche mündliche Information erfolgt sei, bestreitet der Kläger, weil das entsprechende Feld auf dem Anhörungsschreiben nicht angekreuzt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben über die Äußerungen des Klägers über den Betrieb der Beklagten am 04. Juli 2001 und sein Verhalten gegenüber Fluggästen in der Spätschicht vom 05. September 2001 durch uneidliche Vernehmung der Zeugen R., B., L., Be. und D.. Von einer Protokollierung der Zeugenaussage ist im Einverständnis der Parteien gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abgesehen worden.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt und mit Ablauf der zweimonatigen Begründungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG begründet worden. Die Begründung genügte auch den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, indem die Beklagte der Annahme eines Ausforschungsbeweises durch das Arbeitsgericht entgegengetreten ist und gerügt hat, das Verhalten des Klägers nicht auch unter dem Aspekt eines Abkehrwillens gewürdigt zu haben. Einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts zu einem Anspruch des Klägers auf sog. Verzugslohn bedurfte es nicht, weil es sich dabei um einen Folgeanspruch handelte, dessen Bestand von der Stattgabe des Kündigungsschutzantrags abhing (vgl. BAG, Urteil vom 02.04.1987 – 2 AZR 418/86 – AP BGB § 626 Nr. 96 zu B I 1 der Gründe).
2. Die Berufung ist auch sachlich begründet.
Das Arbeits...