Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung. Unzumutbarkeit der Aufnahme der Tätigkeit an der neuen Betriebsstätte

 

Leitsatz (amtlich)

Streit über die Frage, welches Verkehrsmittel zum Erreichen der neuen Betriebsstätte zu benutzen gewesen wäre, wenn die Fahrtdauer mit einem Verkehrsmittel (Pkw) eine Unzumutbarkeit im Sinne des Sozialplans nicht begründet hätte.

 

Normenkette

BetrVG § 112 Abs. 1, § 77 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 17.12.1996; Aktenzeichen 50 Ca 31647/96)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.05.1998; Aktenzeichen 1 AZR 643/97)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Dezember 1996 – 50 Ca 31647/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Sozialplanabfindung. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte beschäftigte die Klägerin seit dem 05. April 1976 bis zum 31. Juli 1996 als Hilfslageristin. Sie verlegte ihren Betriebssitz im Juli 1996 von Berlin-Charlottenburg nach Kremmen. Die Betriebsparteien vereinbarten im Hinblick auf diese Betriebsänderung am 08. Dezember 1995 einen Interessenausgleich und Sozialplan, in dem es u.a. heißt:

„I.

Arbeitnehmer, denen es unzumutbar ist, in Kremmen zu arbeiten, erhalten eine Abfindung, wenn sie wegen des Umzuges aus dem Betrieb ausscheiden.

Unzumutbar ist eine Tätigkeit in Kremmen, wenn

  1. der tägliche Zeitaufwand, der benötigt wird, um den Arbeitsplatz und die Wohnung zu erreichen, insgesamt 2,5 Stunden (einschließlich Fußweges zum Erreichen des Verkehrsmittels) übersteigt Dabei ist eine Anfahrt mit dem Pkw und/oder öffentlichen Verkehrsmitteln möglich; der Arbeitnehmer entscheidet grundsätzlich selbstverantwortlich, welches/welche Mittel er benutzt. Es ist die jeweils kürzeste Verbindung zugrunde zu legen.

Die Abfindungen sind mit Ausscheiden fällig, ab diesem Termin sind sie mit 6 % zu verzinsen.”

Die Klägerin war nicht bereit, ihre Tätigkeit in der neuen Betriebsstätte der Beklagten fortzusetzen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer von der Beklagten ausgesprochenen Änderungskündigung.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung der Höhe nach unstreitigen Sozialplanabfindung in Höhe von 31.172,18 DM brutto nebst 6 % Zinsen seit dem 01. August 1996 in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hätte der Weg von ihrer Wohnung zu der Betriebsstätte der Beklagten in Kremmen und zurück einen täglichen Zeitaufwand von mehr als 2,5 Stunden erfordert. Für die Fahrt mit Bus und S-Bahn zum S-Bahnhof Birkenwerder seien wenigstens 56 Minuten erforderlich; von dort benötige der von der Beklagten bereitgestellte Kleinbus durchschnittlich 30 Minuten, um die Betriebsstätte der Beklagten in Kremmen zu erreichen. Die Klägerin bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Mitteilungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) vom 26. April und 20. November 1996 (Bl. 34, 53 d.A.).

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 37.172,18 DM brutto nebst 6 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01. August 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel benötige die Klägerin insgesamt weniger als 2,5 Stunden täglich für die Fahrt zur Arbeit und zurück. Die Klägerin könne zu Fuß zum S-Bahnhof Gesundbrunnen laufen und von dort aus die S-Bahn in Richtung S-Bahnhof Birkenwerder benutzen; die Fahrt mit ihrem Kleinbus dauere unter Einschluß einer Umsteigezeit von drei Minuten insgesamt 23 Minuten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit einem am 17. Dezember 1996 verkündeten Urteil entsprochen. Es hat sich dabei auf den Standpunkt gestellt, der Klägerin sei es nach den Regelungen des Sozialplanes unzumutbar, in Kremmen zu arbeiten, da sie täglich mehr als 2,5 Stunden benötige, um von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück zu gelangen.

Gegen dieses ihr am 29. April 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. Mai 1997 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung der Beklagten, die sie mit einem am Montag, dem 30. Juni 1997 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, es könne der Klägerin zugemutet werden, zu Fuß zum S-Bahnhof Gesundbrunnen zu laufen; dem stünden gesundheitliche Gründe nicht entgegen. Für den Weg von der Wohnung der Klägerin zur Betriebsstätte in Kremmen seien damit lediglich 67 Minuten erforderlich. Die Klägerin hätte zudem mit ihrem Pkw nach Kremmen fahren können, wofür lediglich 40 Minuten erforderlich seien. Sie habe die bisherige Betriebsstätte in Berlin-Charlottenburg regelmäßig mit dem Pkw erreicht. Bei der Anwendung der Abfindungsregelung des Sozialplans komme es grundsätzlich auf das jeweils schnellste Beförderungsmittel an.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Dezember 1996 – 50 Ca 31647/96 – abzuweisen.

Die Klägerin be...

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