Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 10 LGG normiert keinen individualrechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit zur Kinderbetreuung.

2. Auch § 50 Abs. 2 BAT verpflichtet den Arbeitgeber nicht, auf Antrag des Arbeitnehmers die wöchentliche Arbeitszeit aus familienbedingten Gründen zu reduzieren.

3. Ob sich ein entsprechender Anspruch aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers herleiten läßt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles und der gebotenen beiderseitigen Interessenabwägung ab.

 

Normenkette

BGB §§ 194, 611; Berliner Landesgleichstellungsgesetz vom 31.12.1990 § 10; BAT § 52 Abs. 2; KJHG § 22

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 25.01.1994; Aktenzeichen 86 Ca 26.564/93)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 29.11.1995; Aktenzeichen 5 AZR 753/94)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Januar 1994 – 86 Ca 26.564/93 – wie folgt abgeändert:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin steht seit dem 02. Mai 1990 in den Diensten des … und wird als Leiterin der Kindertagesstätte … beschäftigt. Sie ist in der Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 a zum zum BAT eingruppiert und erhält zur Zeit eine monatliche Vergütung in Höhe von etwa 4.500,00 DM brutto. Auf ihr Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarungen die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung.

Die Kindertagesstätte in der … hat 65 Plätze für Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Sechs Gruppenerzieher sind ganztägig und drei Gruppenerzieher halbtags tätig. Ferner werden drei Wirtschaftskräfte beschäftigt. Stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätte ist eine der sechs ganztägig arbeitenden Gruppenerzieherinnen. Eine teilweise Freistellung für Leitungsaufgaben kommt bei einer Kindertagesstätte der hier fraglichen Art erst mit mindestens 180 Plätzen in Betracht. Die Leiterin der Kindertagesstätte ist von der Erziehungstätigkeit befreit. Im Bezirk … gibt es auf der Leitungsebene der Kindertagesstätten keine Teilzeitstellen.

Die Kindertagesstätte in der … ist von 6.00 Uhr früh bis 16.00 Uhr bzw. 17.00 Uhr geöffnet. Die Arbeitszeit der Klägerin beginnt jeweils um 8.00 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Wegen der Spätsprechstunde für die Erziehungsberechtigten beginnt die Arbeitszeit der Klägerin donnerstags um 8.30 Uhr und endet um 17.00 Uhr. Die Gruppenerzieher werden zeitlich in einem rollierenden System eingesetzt.

Die mit einem an einer Grundschule in … tätigen Lehrer verheiratete Klägerin hat zwei Kinder. Der Sohn ist elf Jahre alt. Die am … September 1986 geborene Tochter wurde im August 1993 eingeschult.

Mit Schreiben vom 24. Januar 1993 beantragte die Klägerin beim … die Reduzierung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit auf 75 % ab 01. August 1993 für die Dauer von zwei Jahren. Sie berief sich dabei auf § 10 Abs. 3 des Landesantidiskriminierungsgesetzes, obwohl dieses durch eine inhaltsgleiche Regelung im Landesgleichstellungsgesetz (LGG) vom 31. Dezember 1990 ersetzt worden war. Das … lehnte mit Schreiben vom 18. Mai 1993 die beantragte Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin ab. In diesem Schreiben heißt es u.a.:

Ihre Beschäftigungsdienststelle hat darauf hingewiesen, daß eine Reduzierung der Arbeitszeit von Leitungspersonal in Kindertagesstätten aus dienstlicher Sicht nicht zu vertreten ist, da pädagogische Belange entgegenstehen.

Sie als Leiterin einer Kindertagesstätte müssen durch Ihre Präsenz während der Regelarbeitszeit die Gewähr dafür bieten, daß das pädagogische Angebot Eltern und Kindern uneingeschränkt zur Verfügung steht. Die für jede Kita erforderliche pädagogische Konzeption muß unter fachlicher Aufsicht einer Leiterin – bei, deren Abwesenheit der Stellvertreterin – ihre inhaltliche Anwendung finden. Der unerläßliche und schnelle Austausch von Informationen zwischen der Leiterin und der Stellvertreterin muß dadurch gewährleistet sein, daß beide während der Regelarbeitszeit anwesend sind.

Die ohnehin zahlreichen Gründe für Abwesenheit der einen oder anderen Leitungskraft (z.B. Urlaub, Kur, Krankheit, Fortbildung etc.) können nicht um einen zusätzlichen Abwesenheitsgrund erweitert werden.

§ 22 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) regelt die Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen. Danach soll sich das Leistungsangebot in derartigen Einrichtungen „pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihren Familien orientieren”.

Ferner wird ausgeführt: „Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und andere Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.”

Die Fachabteilun...

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