Kein Anspruch auf Freistellung von ungünstigen Arbeitszeiten wegen Kinderbetreuung
Eine Beschäftigte arbeitete als Bäckereiverkäuferin in einer Filiale ihres Arbeitgebers. Ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug 40 Stunden. Laut Arbeitsvertrag durfte die Mitarbeiterin in sämtlichen Filialen des Arbeitgebers eingesetzt werden. Außerdem war sie verpflichtet, im gesetzlich zulässigen Rahmen Sonntags-, Feiertags- und Mehrarbeit zu leisten.
Anspruch auf bestimmte Arbeitszeitverteilung wegen Kinderbetreuung?
Im Juli 2020 brachte die Arbeitnehmerin Zwillinge zur Welt. Im Dezember 2021 beantragte die Beschäftigte, ab Januar 2022 nur noch an den Wochentagen Montag bis Freitag (also nicht mehr samstags) und nur noch zwischen 7:40 Uhr und 16:40 Uhr eingesetzt zu werden. Darüber hinaus beantragte sie zum 1. April 2022 eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden. Nur so ließe sich ihre Berufstätigkeit mit ihren Betreuungspflichten als alleinerziehende Mutter vereinbaren. Der Arbeitgeber stimmte der Arbeitszeitverkürzung zu, lehnte jedoch die beantragte Arbeitszeitverteilung ab.
Zur Begründung verwies der Arbeitgeber auf die übrigen Mitarbeiterinnen, die alle ebenfalls kleine Kinder hätten. Er forderte die Arbeitnehmerin auf, am 12. Januar 2022 ihren Dienst zur Frühschicht um 5:30 Uhr anzutreten. Da die Arbeitnehmerin dem nicht nachkam, sprach der Arbeitgeber eine Abmahnung aus, in welcher er der Beschäftigten auch die für sie maßgeblichen Schichtzeiten in der vierten Kalenderwoche 2022 mitteilte. Diese Schichten lagen alle außerhalb des Zeitrahmens, den die Arbeitnehmerin als Arbeitszeitkorridor beantragt hatte. Der Arbeitsanweisung, ihren Dienst in diesen Schichten zu verrichten, kam die Arbeitnehmerin nicht nach. Sie erhob Klage auf die von ihr gewünschte Verteilung der Arbeitszeit. Damit scheiterte sie vor dem Arbeitsgericht Schwerin, welches ihre Klage abwies.
Ablehnung aus betrieblichen Gründen möglich
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die dagegen eingelegte Berufung der Arbeitnehmerin zurück. Die LAG-Richter befanden, die Mitarbeiterin habe gemäß § 8 Abs. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber zusammen mit der Arbeitszeitverringerung auf 35 Wochenstunden der gewünschten Arbeitszeitverteilung zustimmt.
Nach § 8 Abs. 1 TzBfG kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird. Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Ein entgegenstehender betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht (§ 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG). Um "dringende" betriebliche Gründe muss es sich dabei nicht handeln.
Dreistufige Prüfung entgegenstehender Gründe
Die Prüfung, ob betriebliche Gründe entgegenstehen, ist – so das Gericht - regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen:
- Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und – wenn das der Fall ist – um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe).
- In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe).
- Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe). Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zugrundeliegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt.
Das Organisationskonzept des Arbeitgebers wurde hier bestimmt durch die Öffnungszeiten der Filialen. Diesem Konzept steht die von der Arbeitnehmerin gewünschte Verteilung der Arbeitszeit entgegen. Das bisherige Schichtmodell mit einer annähernd gleichen Belastung aller Mitarbeiterinnen durch einen regelmäßigen Wechsel käme nicht mehr in Betracht. Der Arbeitgeber wäre gezwungen, den Einsatz aller Beschäftigten von Grund auf neu zu organisieren. Die von der Mitarbeiterin gewünschte Verteilung der Arbeitszeit führt daher nicht nur zu einer geringfügigen, sondern zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Organisationskonzepts.
Interessenabwägung erforderlich
Bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit muss der Arbeitgeber nach Möglichkeit auch auf die Personensorgepflichten des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, sofern betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer nicht entgegenstehen. Geht es um die Personensorge für ein Kind, hat der Arbeitnehmer eine durch Art. 6 GG geschützte Rechtsposition, was seine Rechtsposition in der Abwägung verstärkt. Bei der Interessenabwägung ist aber auch die ebenfalls grundrechtlich geschützte unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers zu berücksichtigen, zu der es gehört, die betrieblichen Abläufe unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte und Anforderungen festzulegen. Im Übrigen sind nicht nur die Interessen einzelner Beschäftigter, sondern diejenigen aller betroffenen Beschäftigten zu berücksichtigen.
Der Arbeitgeber darf sich bei der Abwägung auf die ihm ohne weiteres nachvollziehbaren persönlichen Umstände der Beschäftigten beschränken, ohne die familiären Verhältnisse in ihren Einzelheiten näher erforschen zu müssen. Er muss sich nicht vor Erstellung des Schichtplans nach den jeweils aktuellen persönlichen Lebensverhältnissen seiner Beschäftigten erkundigen oder diese sogar überprüfen. Das ist ihm schon aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre seiner Beschäftigten verwehrt.
Möglichkeiten der Kinderbetreuung sind für den Arbeitgeber nicht überprüfbar
Zudem kann er in der Regel nicht zuverlässig feststellen, welche Anstrengungen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeweils unternehmen bzw. unternehmen müssen oder können, um die Kinderbetreuung sicherzustellen. Insbesondere ist der Arbeitgeber nicht in der Lage zu prüfen, ob es nicht doch zumutbare anderweitige Möglichkeiten einer Betreuung gibt, sei es durch den anderen Elternteil, Lebenspartner, Angehörige, Verwandte, Freunde etc. oder eben durch Dienstleister wie Kindertagesstätten oder Tagesmütter.
Das Entscheidungsermessen des Arbeitgebers ist nicht dahin reduziert, dass die Arbeitnehmerin stets nur zu den von ihr gewünschten Zeiten eingesetzt werden darf und jede andere Arbeitszeiteinteilung ermessensfehlerhaft wäre. Der Arbeitnehmerin steht kein Anspruch auf Zuweisung der von ihr begehrten Arbeitszeiten zu.
Hinweis: Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Juli 2023, Az. 5 Sa 139/22
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