Entscheidungsstichwort (Thema)
100 % Entgeltfortzahlung in Druckindustrie. konstitutive Tarifregelung. Gleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. § 12 Ziff. 1 u. 2 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (MTV) vom 10.03.1989 i.d.F. vom 19.04.1996 enthält keine eigenständige, konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern verweist auf die jeweilige Gesetzeslage.
2. Damit verstieße die tarifliche Regelung in der bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung gegen das Gleichbehandlungsgebot und insofern gegen Art. 3 Abs. 1 ff. GG, weil die ihrerseits eigenständige Regelung des § 15 des Manteltarifvertrages für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie Berlin den Angestellten 100 % Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall garantiert.
3. In verfassungskonformer Auslegung des § 12 Ziff. 1 u. 2 MTV begründet deshalb auch diese Norm einen Anspruch auf 100 % Entgeltfortzahlung.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 30.04.1997; Aktenzeichen 35 Ca 50732/96) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. April 1997 – 35 Ca 50732/96 – wie folgt geändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 202,24 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1996 zu zahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf ungekürzte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Druckindustrie für die gewerblichen Arbeitnehmer Anwendung.
Vom 27. bis 29. November 1996 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Für diese Zeit leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % seines Arbeitsentgelts.
Im fraglichen Zeitraum galt der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) – im folgenden MTV – vom 10. März 1989 i.d.F. vom 19. April 1996, abgeschlossen vom Bundesverband Druck e. V. und der Industriegewerkschaft Medien. Druck und Papier, Publizistik und Kunst, Hauptvorstand. § 12 Ziffer 1 und 2 MTV lauten:
- „Die Lohnfortzahlung im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach dem Lohnfortzahlungsgesetz in seiner jeweiligen Fassung.
- Als Arbeitsentgelt im Sinne der Ziffer 1 gilt abweichend von § 2 Abs. 1 aufgrund von § 2 Abs. 3 des Lohnfortzahlungsgesetzes der Durchschnittsverdienst der drei abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der die Arbeitsunfähigkeit beginnt, vorausgehen. Für die Ermittlung des Durchschnittsverdienstes gelten die Durchführungsbestimmung (6) zu § 10 ohne Beispiele 1 und 2 und ohne den letzten Absatz sowie die Durchführungsbestimmung (8) zu § 10. Zur Ermittlung des täglichen Arbeitsentgeltes wird der festgestellte Durchschnittsverdienst durch 65* geteilt.”
Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1997 haben § 12 Ziff. 1 und Ziff. 2 Satz 1 MTV folgende Fassung erhalten:
- „Im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schönungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, wird das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen unabhängig von § 4 Abs. 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes fortgezahlt.
- Als Arbeitsentgelt im Sinne der Ziff. 1 gilt abweichend von § 4 Abs. 1 aufgrund von § 4 Abs. 4 EFZG der Durchschnittsverdienst der drei abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der die Arbeitsunfähigkeit beginnt, vorausgehen. Es kann auch ein längerer Zeitraum bis zu einem Jahr zugrunde gelegt werden, wenn hierüber mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung erfolgt.”
Im Anspruchszeitraum galt ferner der Manteltarifvertrag für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie i.d.F. vom 30. November 1989, abgeschlossen vom Verband Berliner Druckindustrie e. V. und der Industriegewerkschaft Medien. Druck und Papier, Publizistik und Kunst. Landesbezirk Berlin. Dort heißt es in § 15:
„Bei Erkrankung ist dem Arbeitgeber unverzüglich Mitteilung zu machen. Entsprechendes gilt bei Beantragung oder Bewilligung eines Heilverfahrens durch einen Sozialversicherungsträger oder ein Versorgungsamt.
Der erkrankte Angestellte soll innerhalb von drei Tagen die ärztliche Arbeitsunfähigkeitbescheinigung vorlegen.
- Bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sowie während eines von einem Sozialversicherungsträger oder Versorgungsamt bewilligten Heilverfahrens einschließlich einer anschließenden ärztlich verordneten Schon...