Entscheidungsstichwort (Thema)

Eignungskündigung. Angestellter im Polizeivollzugsdienst

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an die Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses eines Angestellten im Polizeivollzugsdienst wegen starker Kurzsichtigkeit und einer Farbsinnstörung.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 05.05.1997; Aktenzeichen 93 Ca 31596/95)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Mai 1997 – 93 Ca 31596/95 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 05. August 1964 geborene Kläger stand seit dem 01. Oktober 1987 im Dienst der Volkspolizei im Ostteil Berlins. Seit dem 01. Oktober 1990 wurde er im Funkstreifendienst und in der Notbetriebsstelle des Beklagten auf einer Stelle der BesGr A 8 mit einer Vergütung nach VergGr VIb BAT-O eingesetzt.

Bei einer am 26. November 1991 durchgeführten augenärztlichen Untersuchung wurde festgestellt, daß beim Kläger eine Grünfarbsinnstörung und eine beiderseitige Kurzsichtigkeit vorlagen. Der untersuchende Arzt kam deshalb zu der Beurteilung, daß der Kläger nicht einstellungsfähig sei, da das freie Sehvermögen beiderseits nur 10 % der Norm betrage. Gleichwohl erwarb der Kläger am 25. Juni 1993 in der Polizeischule die Fahrerlaubnis der Klasse 3, und wurde ihm zugleich die Berechtigung zum Führen von Polizeieinsatzfahrzeugen verliehen.

Nach längerer interner Korrespondenz zwischen der Dienststelle des Klägers und dem zuständigen Polizeiarzt kündigte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05. Oktober 1995 zum 31. März 1996 und bot ihm zugleich eine Beschäftigung im Sicherheits- und Ordnungsdienst nicht VergGr VII/VIb BAT-O an. Dieses Angebot nahm der Kläger mit Schreiben vom 19. Oktober 1995 unter Vorbehalt an.

Das Arbeitsgericht Berlin hat nach Zeugenvernehmung zur Personalratsbeteiligung und Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen zwischen den Parteien aufgrund der Änderungskündigung des Beklagten vom 05. Oktober 1995 sozial ungerechtfertigt sei. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, aufgrund des Sachverständigengutachtens habe sich zwar ergeben, daß der Kläger mit einer Brille als Sehhilfe für den Polizeivollzugsdienst nicht tauglich sei, weil stets die Gefahr bestehe, daß die Brille bei einer Auseinandersetzung mit Straftätern abhanden komme. Bei einem Schußwaffengebrauch könne der Kläger dann nicht einschätzen, welches Ziel das Projektil treffen werde, wenn sich ein in unmittelbarer Nähe oder mittlerer Entfernung befindlicher Täter aus dem Schußfeld entferne. Der Kläger trage jedoch seit längerem weiche Kontaktlinsen. Die Gefahr, diese bei einer körperlichen Auseinandersetzung zu verlieren, sei nicht größer als die allgemein bestehende Gefahr, bei einer solchen Auseinandersetzung direkt am Auge verletzt zu werden. Aufgrund seiner Grünstörung habe der Kläger nach Angabe des Sachverständigen auch keine Schwierigkeiten beim Erkennen von Bremslichtern und roten Ampelsignalen. Daher sei auch nicht anzunehmen, daß der Kläger ein Einsatzfahrzeug bei Inanspruchnahme von Sonderrechten nicht sicher führen könne.

Gegen dieses ihm am 08. Juli 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 07. August 1997 eingelegte und am 08. September 1997, einem Montag, begründete Berufung des Beklagten. Er verweist auf die gemäß § 6 Abs. 5 ASOG 1988 erlassene und 1994 ergänzte PDV 300 über die „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit”. Danach sei ein Bewerber als polizeidienstuntauglich zu beurteilen, wenn ein oder mehrere Fehler festgestellt würden, die in der Anlage 1 aufgeführt seien. Von diesen allgemeingültigen Mindestanforderungen abzuweichen, stehe den Gerichten für Arbeitssachen nicht frei. Nach Nr. 5.2 müsse die Verteidigungsfähigkeit auch bei Verlust der Sehhilfe erhalten sein. Ein die Polizeidiensttauglichkeit ausschließender Fehler liege nach Nr. 5.2.1 bei einer Herabsetzung der Sehleistung (ohne Glas) auf einem Auge auf weniger als 0,3 vor, wenn das 20. Lebensjahr vollendet sei.

Dies gelte nach Nr. 5.14 auch für das Vorliegen von Gehstörungen, welche die Benutzung von Kontaktlinsen erforderlich machten. Diese Regelung sei auch gerechtfertigt, weil auch weiche Kontaktlinsen durch Schlageinwirkung und insbesondere durch Tränengas in Verlust geraten könnten. Desgleichen führe die Farbsinnstörung des Klägers gemäß Nr. 5.41 zur Polizeidienstuntauglichkeit. Auch unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens sei der Kläger nicht in der Lage, gerichtssichere Farbbeschreibungen abzugeben und in bestimmten Bereichen Farbunterschiede wahrzunehmen, und könne er unter Umständen Bremslichter später entdecken als Vollfarbtüchtige.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt.

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und verweist darauf, weit...

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