Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Bezugnahme auf ein Gesetz
Leitsatz (amtlich)
§ 11 Nr. 5.1 Satz 1 RTV Poliere enthält eine eigenständige Regelung über die Berücksichtigung von Überstunden bei der Berechnung des Urlaubsentgelts, weil im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG der Bezugszeitraum von 13 Wochen auf drei Monate verändert worden ist, die Tarifvertragsparteien in § 11 Nr. 7 RTV Poliere lediglich ergänzend auf die gesetzlichen Vorschriften Bezug genommen haben und sie sich auch redaktionell vom Gesetz abgegrenzt haben, indem sie das Arbeitsverdienst sprachlich korrekt durch den Arbeitsverdienst ersetzt haben.
Normenkette
BUrlG § 11 Abs. 1 S. 1; RTV Poliere § 11 Nr. 5.1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 08.10.1997; Aktenzeichen 13 Ca 13948/97) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Oktober 1997 – 13 Ca 13948/97 – geändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 342,85 DM (dreihundertzweiundvierzig 85/100) brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. April 1997 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger steht seit dem 31. August 1967 als Polier in den Diensten der Beklagten. Auf sein Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Poliere des Baugewerbes Anwendung.
In der Zeit vom 19. bis 23. Dezember 1996 sowie am 02. und 03. Januar 1997 hatte der Kläger Urlaub. Da die Beklagte bei der Bemessung des Urlaubsentgelts den für Überstunden in den jeweiligen Vormonaten gezahlten Arbeitsverdienst des Klägers nicht berücksichtigt hatte, verlangte dieser nach rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung noch die sich daraus ergebenden Differenzbeträge in rechnerisch unstreitiger Höhe von insgesamt 342,85 DM brutto.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, § 11 Nr. 5.1 RTV Poliere enthalte lediglich eine Bezugnahme auf § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 BUrlG in der zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltenden Fassung ohne eigenständigen Regelungsgehalt. Daraus, daß der Berechnungszeitraum mit drei Monaten statt mit dreizehn Wochen angegeben sei, ergäben sich keine inhaltlich bedeutsamen Unterschiede.
Gegen dieses ihm am 07. November 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 08. Dezember 1997, einem Montag, eingelegte und am 08. Januar 1998 begründete Berufung des Klägers. Er verweist darauf, daß der von den Tarifvertragsparteien gewählte Zeitraum von drei Monaten in seiner Länge nicht dem gesetzlichen Zeitraum von 13 Wochen entspreche. Auch enthalte der RTV Poliere in § 11 Nr. 5.1 im Gegensatz zu § 11 Abs. 1 Satz 4 BUrlG keine Regelung über die Abgeltung von Sachbezügen. Für eine eigenständige Regelung spreche schließlich noch/daß nach § 11 Nr. 7 RTV Poliere die gesetzlichen Vorschriften lediglich ergänzend gelten sollten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 342,85 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint, daß der Unterschied zwischen drei Monaten und 13 Wochen sich auf wenige Tage beschränke und deshalb zu vernachlässigen sei.
Entscheidungsgründe
1. Die vom Arbeitsgericht gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG zugelassene und gemäß § 222 Abs. 2 ZPO fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist begründet.
1.1 Der Kläger hat aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 TVG aus § 11 Nr. 5.1 Satz 1 des infolge Kündigung nur noch nachwirkenden Rahmentarifvertrags für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes vom 29.04.1988 i.d.F. vom 19.05.1992 Anspruch auf restliches Urlaubsentgelt für die Zeit vom 19. bis 23. Dezember 1996 sowie für den 02. und 03. Januar 1997 in rechnerisch unstreitiger Höhe von insgesamt 342,85 DM brutto.
Der durchschnittliche Arbeitsverdienst im Sinne dieser tariflichen Bestimmung, nach dem sich das Urlaubsentgelt bemißt, umfaßt entgegen der ab 01. Oktober 1996 geltenden gesetzlichen Neuregelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BUrlG auch die im Bezugszeitraum erzielte Überstundenvergütung (zur früheren gesetzlichen Regelung BAG, Urteil vom 09.12.1965 – 5 AZR 175/65 – BAGE 18, 12 = AP § 11 BUrlG Nr. 2 zu 2 b d.Gr.).
1.1.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Tarifverträge, soweit sie gemäß § 1 Abs. 1 TVG Rechtsnormen enthalten, wie Gesetze auszulegen. Es ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Für die bei Zweifeln darüber hinaus mögliche Heranziehung weiterer Auslegungskriterien (Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und E...