rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterverwendung älterer Arbeitnehmer, Schwerbehinderter und Alleinerziehender aus einer abgewickelten Einrichtung der früheren DDR
Leitsatz (amtlich)
Daß nach dem sog. Warteschleifen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 84, 133 = AP Art. 12 GG Nr. 70) bei der Besetzung von Stellen angemessen berücksichtigt werden muß, daß namentlich Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern und Alleinerziehenden ihre Entlassung infolge Abwicklung ihrer Einrichtung nur zumutbar ist, wenn ihnen eine begründete Aussicht auf eine neue Stelle im öffentlichen Dienst geboten wird, bedeutet nicht, daß jedem einzelnen von ihnen ein Anspruch auf bevorzugte Einstellung vor sonstigen Bewerbern zusteht, sofern sie nur die Mindestvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle erfüllen. Vielmehr handelt es sich lediglich um einen Aspekt, den der öffentliche Dienstherr bei der Bewerberauswahl zu berücksichtigen hat und der umso mehr an Gewicht verliert, wie er schon Angehörige der besonders schutzbedürftigen Beschäftigtengruppe bei sich untergebracht hat oder dabei ist unterzubringen. Erst wenn sich ergibt, daß besonders schutzbedürftige Arbeitnehmer aus einer abgewickelten Einrichtung überhaupt nicht in nennenswerten Umfang eingestellt worden sind, ohne daß im konkreten Fall sachgerechte Gründe für die Bevorzugung eines anderen Bewerbers sprechen, läßt sich ein Verstoß gegen die Pflicht zur angemessenen Berücksichtigung feststellen, der die Nichtweiterverwendung während des Wartestandes als treuwidrig i. S. des § 162 Abs. 2 BGB erscheinen lassen kann mit der Folge, daß der betroffene Arbeitnehmer als weiterverwendet gilt und sein Arbeitsverhältnis damit nicht geendet hat.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2; EV Art. 20; BGB § 162 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 29.01.1992; Aktenzeichen 95 A Ca 20.715/91) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Januar 1992 – 95 A Ca 20.715/91 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nach vorangegangenem Ruhen aufgrund der Übergangsregelungen für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst in der Anlage I des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (EV).
Die 1938 geborene Klägerin war seit dem 01. September 1976 beim Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (ASMW) tätig. Zuletzt oblag ihr als Leitender ökonomischer Mitarbeiter im Bereich Verwaltung und Sozialwesen die Leitung der betrieblichen Verkaufsstelle im Bereich Berlin-….
Mit Schreiben der … und der Bundesanstalt … vom 27. September 1990 (Ablichtung Bl. 3 d.A.) wurde der Klägerin mitgeteilt, daß diese beiden Bundesanstalten vom Bundesminister für Wirtschaft (BMWi) mit der Abwicklung des ASMW beauftragt worden seien und ihr Arbeitsverhältnis deshalb zwar über den 03. Oktober 1990 hinaus zunächst fortgeführt werde, ab dem 01. Januar 1991 jedoch ruhe, sofern eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei, und dann mit dem 30. September 1991 ende.
In einer das ASMW betreffenden Organisationsverfügung des BMWi vom 03. Oktober 1991 (Bl. 39 bis 41 d.A.) hieß es, daß die Einrichtung aufgelöst sei. Zugleich war vorgesehen, daß die Entscheidung nach Artikel 13 EV über die Überführung oder Abwicklung der Einrichtung bis zum 31. Dezember 1990 erfolgen sollte. … und … bestimmten durch eine Organisationsverfügung vom selben Tag (Ablichtung Bl. 42 bis 46 d.A.), daß das ASMW mit
Ausnahme einzelner Organisationseinheiten, zu denen der Bereich der Klägerin nicht gehörte, längstens bis zum 31. Dezember 1990 bestehen bliebe. Dementsprechend wurde die von der Klägerin geleitete Verkaufsstelle nach Veräußerung der vorhandenen Waren und Abgabe des Rests an den Pächter der Kantine geschlossen. Eine weitere Ruhensmitteilung erfolgte mit Schreiben vom 20. Dezember 1990 (Ablichtung Bl. 49 und 50 d.A.).
Mit ihrer am 19. September 1991 eingereichten Klage hat sich die nicht weiterverwendete Klägerin zunächst nur gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe hinsichtlich des ASMW für den Bereich der Klägerin keine Überführungsentscheidung getroffen, weshalb ab dem 01. Januar 1991 kraft Gesetzes das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses eingetreten sei. Dies sei der Klägerin auch ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Die Beklagte habe ihre Auflösungsentscheidung auch tatsächlich umgesetzt. Daran ändere es nichts, daß das neue Verwaltungsreferat der … in dem Dienstgebäude der früheren „AG Versorgungseinrichtung Berlin” des ASMW untergebracht sei. Schließlich könne die Berufung auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch mit Rücksicht auf die vom Bundesverfassungsgericht im Warteschleifen-Urteil aufgestellten Anfo...