Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausbildungsvergütung im Gerüstbaugewerbe. Angemessenheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütungen sind jedenfalls dann nicht mehr angemessen im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem für den Ausbildungsbetrieb einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 % unterschreiten.

2. Unterschreitet die vereinbarte Vergütung die im Tarifvertrag enthaltene Vergütung um mehr als 20 %, ist die vereinbarte Vergütung nicht auf 80 % zu erhöhen, sondern die sich aus dem Tarifvertrag ergebende Vergütung an den Auszubildenden zu zahlen.

 

Normenkette

Berufsbildungsgesetz § 10 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 11.11.1999; Aktenzeichen 82 Ca 28169/99)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.07.2002; Aktenzeichen 6 AZR 311/00)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. November 1999 – 82 Ca 28169/99 – abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.647,– DM brutto (eintausendsechshundertsiebenundvierzig) nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 29. Juni 1999 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger eine höhere als die vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütung beanspruchen kann.

Der Beklagte betreibt ein Unternehmen des Gerüstbaus. Der am 5. August 1981 geborene Kläger stand zu ihm seit dem 1. September 1998 in einem Ausbildungsverhältnis zum Gerüstbauer auf der Grundlage eines am 13. Februar 1998 geschlossenen Ausbildungsvertrages (Bl. 26 d.A.), der auch von der Mutter des Klägers unterschrieben worden ist. Der Vertrag ist auf einem von der Handwerkskammer Berlin herausgegebenen Formular geschlossen, in dem es unter D wie folgt heißt:

„Die Vergütung richtet sich nach der tarifvertraglichen Regelung bzw. den jeweils empfohlenen Sätzen der Fachverbände (Vertrag § 4 Nr. 1). Sie beträgt zur Zeit monatlich:

DM 720,– brutto im ersten Ausbildungsjahr

DM 990,– brutto im zweiten Ausbildungsjahr …”

Die Vereinbarung über die Höhe der Ausbildungsvergütung entsprach einer Empfehlung der Gerüstbau-Innung e. V. vom 18. August 1997 (Bl. 34 d.A.). Nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Ausbildungsvergütungen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Gerüstbaugewerbe vom 21. Juli 1995 betrug die Ausbildungsvergütung für Auszubildende vor dem vollendeten 18. Lebensjahr im ersten Ausbildungsjahr 1.269,– DM brutto.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Differenzvergütungsansprüche für die Monate Januar 1999 bis einschließlich März 1999 in Höhe von jeweils 549,– DM brutto pro Monat geltend gemacht und von dem Beklagten die Zahlung von insgesamt 1.647,– DM brutto verlangt.

Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 40–41 d.A.) sowie auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst den jeweiligen Anlagen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO abgesehen.

Durch ein Urteil vom 11. November 1999 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Da die Regelung in Punkt D des Ausbildungsvertrages sowohl auf die tarifvertragliche Regelung als auch auf die Empfehlung der jeweiligen Fachverbände verweise, sei durch Auslegung zu ermitteln, was die Parteien hätten vereinbaren wollen. Die Regelung könne nur dahingehend verstanden werden, daß es den Parteien um die Berücksichtigung spezieller landestypischer Umstände gegangen sein müsse, was zur Folge habe, daß die Regelung auf Bundesebene nur subsidiär zum Tragen habe kommen sollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 41–42 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 8. Dezember 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am Montag, dem 10. Januar 2000 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 10. Februar 2000 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger nimmt auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug und begründet sein Rechtsmittel wie folgt: Das Arbeitsgericht habe bei seiner Auslegung die allgemeinen Auslegungsgrundsätze nicht ausreichend beachtet. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der tariflichen Ausbildungsvergütung ergebe sich ohne weiteres aus der einzelvertraglichen Inbezugnahme. Würde auf die Empfehlung des Landesfachverbandes vom 18. August 1997 abgestellt werden, würde dies dazu führen, daß die in dem für den Ausbildungsbetrieb einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 % unterschritten werden würden. Daß solche Ausbildungsvergütungen nicht mehr angemessen im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz seien, habe das Bundesarbeitsgericht bereits mit einem Urteil vom 10. April 1991 – 5 AZR 226/90 – entschieden. Die Vereinbarung einer Ausbildungsvergütung in Höhe von nur 720,– DM...

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