Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats zu Kündigungsfristen und -terminen. Wirkung der nicht ordnungsgemäßen Anzeige nach § 17 Abs. 2 und 3 KschG
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Betriebsrat sind bei der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich auch die Kündigungsfristen und gegebenenfalls der Kündigungszeitpunkt bekanntzugeben.
2. Verletzt der Arbeitgeber die Anzeigepflichten nach § 17 Abs. 2 und 3 KSchG, so ist die einzelne von ihm erklärte Kündigung unwirksam, wenn sich der Arbeitnehmer auf diesen Gesetzesverstoß beruft.
Normenkette
BetrVG 1972 § 102 Abs. 1; KSchG § 17 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 16.12.1994; Aktenzeichen 54 Ca 9019/94) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Dezember 1994 – 54 Ca 9019/94 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Gemeinschuldnerin vom 7. März 1994 nicht aufgelöst worden ist.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.
17 Sa 51/95
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt nur noch über die Wirksamkeit einer von der Firma … (im folgenden: Gemeinschuldnerin) mit Schreiben vom 7. März 1994 zum 31. Mai 1994 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, die von der Gemeinschuldnerin, welche ständig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, und später vom zuletzt noch alleinigen Beklagten mit der Stillegung des Betriebes begründet worden ist.
Der am 21. August 1950 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 21. November 1988 als Revierwachmann bei der Gemeinschuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin bei einer monatlichen Bruttovergütung von ca. 4.000,– DM beschäftigt. Die Gemeinschuldnerin erbrachte Bewachungsdienstleistungen und beschäftigte 1993 noch ca. 800 Arbeitnehmer. Auf das Arbeitsverhältnis findet der mit Wirkung ab 26. Januar 1994 für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für das private Sicherheitsgewerbe vom 23. Dezember 1992 Anwendung (vgl. dazu die Allgemeinverbindlichkeitserklärung BAnz. Nr. 167/94 vom 03.09.1994, S. 9773).
Am 8. Februar 1994 beantragten die Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin die Eröffnung des Konkursverfahrens. Mit Beschlüssen vom 11. und 14. Februar 1994 erließ das Amtsgericht Charlottenburg ein Veräußerungs- und Verfügungsverbot und ordnete die Sequestration an. Den Kunden der … wurde mitgeteilt, daß die Dienstleistungen am 14. Februar eingestellt würden. Nach dem 14. Februar 1994 führte die Gemeinschuldnerin keine Bewachungsaufgaben mehr aus. Ein Teil der Mitarbeiter wurde für Abwicklungsarbeiten eingesetzt. Nach dem 15. April 1994 waren neben dem Geschäftsführer noch weitere zehn Mitarbeiter beschäftigt. Ob Arbeitnehmer über ihren Kündigungstermin hinaus beschäftigt wurden, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 31. März 1994 wurde Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
Die Gemeinschuldnerin nahm die Beendigung der Bewachungsaufgaben zum Anlaß, sämtlichen bei ihr noch beschäftigten Arbeitnehmern, so auch dem Kläger, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Zu diesem Zweck informierten die Mitarbeiter …, die die Gemeinschuldnerin nach Maßgabe der Schreiben vom 19. August 1993 (Bl. 30 d.A.), 22. Oktober 1993 (Bl. 31 d.A.) und 15. Februar 1994 (Bl. 32 d.A.) zur Kündigung bevollmächtigt hatte, den Betriebsrat mit Schreiben vom 24. Februar 1994 (vgl. dazu das Schreiben in Kopie Bl. 20 d.A.) über die beabsichtigte Kündigung des Klägers. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 2. März 1994 der Kündigung (vgl. dazu das Widerspruchsschreiben in Kopie Bl. 21 d.A.).
Der Betriebsrat wurde hinsichtlich der Massenentlassung gemäß dem Schreiben vom 15. Februar 1994 informiert (vgl. dazu das Schreiben vom 15.02.1994 in Kopie Bl. 22 d.A.). Ob dem Betriebsrat darüber hinaus die Liste der bei der Gemeinschuldnerin zum 2. März 1994 noch ungekündigten Mitarbeiter zuging (vgl. dazu die Liste in Kopie Bl. 23 bis 29 d.A.), ist zwischen den Parteien streitig.
Am 2. März 1994 zeigte die Gemeinschuldnerin die Entlassung beim Arbeitsamt unter Beifügung eines Schreibens des Betriebsrates vom 21. Februar 1994 (vgl. dazu das Schreiben in Kopie Bl. 157 d.A.) an. In dem Schreiben des Betriebsrates vom 21. Februar 1994 heißt es:
„…
aufgrund einer Reihe von Formfehlern entspricht Ihr o.g. Schreiben nicht den Anforderungen des § 17 Abs. 2 KSchG, da eine Reihe der dort geforderten Angaben fehlen. Wir müssen auch erwähnen, daß die dort geforderten Beratungen nicht erfolgt sind. Ein Teil der Belegschaft wird übrigens noch zur Abwicklung benötigt, hierauf wird in Ihrem o.g. Schreiben überhaupt nicht eingegangen, ebensowenig auf den Zeitraum, innerhalb dessen die Massenentlassungen erfolgen sollen.
Ihre Absicht, zuerst einmal alle Arbeitnehmer zu kündigen und anschließend einige davon befristet wieder einzustellen, verstößt i...