Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiende Lebensversicherung und Erlöschen des Anspruches auf Vorruhestandsgeld
Leitsatz (amtlich)
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV) ist nicht rechtswidrig.
2. eine sogenannte befreiende Lebensversicherung kann im Sinne von § 2 Abs. 2 VRG gleichgestellt sein. In aller Regel kann dem Vorruhestandsberechtigten nicht zugemutet werden, einen früheren als den vertraglich vorgesehenen Versicherungseintritt herbeizuführen. Das ist jedenfalls anzunehmen, wenn die vorzeitige Inanspruchnahme der (privaten) Versicherungsleistungen zu versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen führt.
Normenkette
ZPO §§ 72, 256 Abs. 1; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26.09.1984 §§ 2, 8 Abs. 1; VRG § 2 Abs. 1-2; TVG § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 23.07.1987; Aktenzeichen 15 Ca 418/86) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juli 1987 – 15 Ca 418/86 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 7. Oktober 1926 geborene Kläger, der Mitglied der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft ist, war bei der Beklagten, einem Unternehmen der Bauindustrie, in der Zeit vom 16. Mai 1967 bis zum 31. Januar 1985 als technischer Angestellter tätig. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 4.742,– DM.
Unter Bezugnahme auf den Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (TVVR) beantragte der Kläger mit Schreiben vom 22. Oktober 1984 (Bl. 26, d.A.) von der Beklagten mit Wirkung vom 1. Februar 1985 den Eintritt in den Vorruhestand sowie die Zahlung eines Vorruhestandsgeldes. Durch Vorbescheid vom 12. Juli 1985 (Bl. 28 d.A.) teilte die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK) der Beklagten mit, daß dem Antrag entsprochen werde und der Kläger längstens bis zum 31. Oktober 1989 Vorruhestandsgeld erhalte.
In § 10 des TVVR ist vorgesehen, daß die als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien bestehende Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK-Bau), Wiesbaden, dem Arbeitgeber auf Antrag und Nachweis monatlich die von ihm erbrachten Vorruhestandsleistungen erstattet. Die dazu erforderlichen Mittel werden durch Beiträge der Arbeitgeber aufgebracht.
Der Kläger, der lediglich 18,92 Versicherungsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt hat, erhält von der Beklagten ab 1. Februar 1985 ein Vorruhestandsgeld in Höhe von 3.821,40 DM brutto monatlich.
Er hatte jeweils an 14. Februar 1964, 27. September 1965 und 28. Juni 1968 bei der Allianz Lebensversicherungs-AG im Rahmen der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung nach Artikel 2 § 1 AVG in der Fassung des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 insgesamt drei Kapital-Versicherungen mit Rentenwahlrecht (Befreiungsversicherungen) abgeschlossen, die jeweils am 1. Juli 1991, 1. Dezember 1991 sowie 1. Januar 1992 zur Zahlung fällig werden.
Mit Schreiben vom 2. August 1985, gerichtet an die Beklagte vertrat der Kläger die Auffassung, daß ihm Vorruhestandsgeld über den 31. Oktober 1989 hinaus bis zum 31. Oktober 1991, der Vollendung seines 65. Lebensjahres, zustehe. Sowohl die Beklagte als auch die ZVK-Bau wiesen mit Schreiben vom 15. August 1985 (Bl. 102 d.A.) bzw. vom 20. August 1985 (Bl. 8 f.d.A.) weitere Vorruhestandsverpflichtungen als unbegründet zurück.
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 22. Dezember 1986 eingegangenen und der Beklagten am 19. Januar 1987 zugestellten Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm bis zum 31. Oktober 1991 Vorruhestandsgeld zu zahlen.
Für ihren gegenteiligen Standpunkt, so hat der Kläger ausgeführt, könne sich die ZVK-Bau nicht auf den Dienstblatt-Runderlaß 82/85 der Bundesanstalt für Arbeit vom 14. Juni 1985 berufen. Dieser verwaltungsinternen Richtlinie komme im Verhältnis zu ihm keine rechtlich verbindliche Wirkung zu. Es komme allein auf den Wortlaut des Vorruhestandstarifvertrages an, aus den sich klar und unmißverständlich ergebe, daß der Anspruch auf Vorruhestandsgeld mit den Ablauf des Kalendermonats vor den Monat erlösche, von den an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eine andere der im Vorruhestandsgesetz genannten Leistungen beanspruchen könne. Auf die befreienden Lebensversicherungen könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese erst zu einen späteren Zeitpunkt fällig würden und es ihm nicht zugemutet werden könne, eine vorzeitige Auflösung der befreienden Lebensversicherungen herbeizuführen. Eine vorzeitige Auszahlung der Versicherungssumme würde für ihn einen finanziellen Verlust in Höhe von etwa 150.000,– DM bedeuten. Bei der Inanspruchnahme des Rentenwahlrechtes ohne Berücksichtigung zukünftiger Erhöhung der Lebenshaltungskosten und der gesetzlichen Rente würde ihn bezogen auf eine Rentenlaufzeit für den Nor...