Revision zugelassen
Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Der einigungsvertragliche Sonderkündigungstatbestand erfordert eine erhebliche Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit und erfaßt nicht jede unter dem Schutz der staatlichen und politischen Ordnung der DDR begangene Unrechtstat. Eine solche Zuwiderhandlung setzt beim Täter Kenntnis und Billigung aller Tatumstände sowie das Bewußtsein voraus, durch sein Verhalten gegen diese Grundsätze zu verstoßen. Der Täter muß sich bewußt zum Vollstrecker sozialistischer Unrechtsmaßnahmen gemacht haben, durch welche die natürlichen Menschenrechte oder die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verletzt wurden. Dabei kommt es nicht auf die formale Gesetzmäßigkeit an, sondern auf den materiellen Unrechtscharakter des Verhaltens nach den Maßstäben rechtsstaatlicher Grundsätze (im Anschluß an BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1964 – VIII C 60.62 – BVerwGE 19, 1).
Normenkette
Einigungsvertrag Art. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 1 Anlage I
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 14.05.1992; Aktenzeichen 90 Ca 5053/92) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Mai 1992 – 90 Ca 5053/92 – geändert.
II. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers beim Beklagten durch dessen Kündigung vom 28. Januar 1992 nicht aufgelöst worden ist.
III. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger als amtierenden Amtsleiter beim Bezirksamt … zu den bisherigen Bedingungen für die Dauer des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
IV. Der weitergehende Beschäftigungsantrag wird abgewiesen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
VI. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1939 geborene Kläger war seit Oktober 1963 als Jugendfürsorger beim Rat des Stadtbezirks Berlin … und zuletzt als amtierender Amtsleiter des Vormundschaftswesens beim Bezirksamt Berlin- … tätig.
In seiner Eigenschaft als Jugendfürsorger war der Kläger mit dem Fall eines im Oktober 1966 geborenen Kindes befaßt, dessen griechischer Vater im Westteil Berlins lebte. Ende 1968 verließ die Mutter des Kindes die DDR und zog nach einem längeren Auslandsaufenthalt Ende Juni 1969 ebenfalls nach West-Berlin. Als die Großeltern des Kindes, von denen es zunächst betreut worden war, im August 1969 von einer Reise in die Bundesrepublik Deutschland nicht wieder zurückkehrten, kam das Kind kurzfristig in ein Heim und wurde im Oktober 1969 bei einem Ehepaar in Pflege gegeben, das es adoptieren wollte. Im November 1969 wandte sich die Mutter an den seinerzeit noch zuständigen Jugendfürsorger beim Stadtbezirk Berlin- … und an den Staatsratsvorsitzenden der DDR mit der Bitte um Herausgabe ihres Kindes.
Ausweislich eines Aktenvermerks vom 1. November 1969 (Bl. 77 R. d. BeiA) hatte der Kläger die Pflegeeltern beruhigt, das Kind nicht herauszugeben, falls die Mutter eines Tages aufkreuzte, und daß sich höchstens der Zeitpunkt der Adoption etwas verzögern könnte. Mit Schreiben vom 24. Dezember 1969 (Bl. 87 d.BeiA) beantragte der Kläger beim Präsidium der Deutschen Volkspolizei eine sog. Adressensperrung für das Kind, um im Hinblick auf die beabsichtigte Änderung des Vornamens Auffälligkeiten im Wohngebiet zu vermeiden und eventuelle Nachforschungen der Eltern zu unterbinden. In einem Schreiben vom 29. Januar 1970 (Bl. 89 d.BeiA) an die seinerzeit noch aktenführende Stelle warf der Kläger unter Bezugnahme auf die einschlägige Vorschrift im Familiengesetzbuch die Frage auf, ob nicht auf eine Einwilligung zur Adoption verzichtet werden könne, wenn der Aufenthalt der Mutter unbekannt sei. Die Vormundschaftsakte wurde dem Referat des Klägers unter dem 6. Juli 1970 zur weiteren Bearbeitung übersandt.
Nachdem die Mutter ihr Einverständnis zur Adoption ihres Kindes verweigert hatte, wurde im Februar 1971 vom Referat des Klägers Klage beim Stadtbezirksgericht Berlin- … auf deren Ersetzung erhoben. Die Mutter, die sich anwaltlich vertreten ließ, wurde am 11. Februar 1972 im Wege der Rechtshilfe vom Amtsgericht Sch. als Partei vernommen (Bl. 115 d. BeiA). In der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 1972 erklärte der Kläger als Terminsvertreter zu Protokoll (Bl. 118 R. d.BeiA), es sei nicht bekannt, ob die Mutter einen Antrag auf Zuführung des Kindes gestellt habe; einer solchen Zuführung würde man nicht zustimmen. Dem Antrag des Terminsvertreters der Mutter, beim Ministerium für Inneres eine Auskunft einzuholen, ob diese dort einen Antrag gestellt habe und ob dafür Aussicht auf Erfolg bestünde, entsprach das Gericht nicht, sondern gab der Klage statt. Das Urteil (Bl. 135 bis 139 d.BeiA) wurde am 22. Juli 1972 rechtskräftig. Am 31. August 1972 entsprach der Jugendhilfeausschuß dem Antrag der Pflegeeltern auf Annahme des Kindes an Kindes Statt.
Mit Schreiben vom 28. Janua...