Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstilllegung. nachträglicher Betriebsübergang. Massenentlassung. Nachteilsausgleich. Zinshöhe
Leitsatz (amtlich)
1. Auf eine GmbH, deren Alleingesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist und die als Verwaltungshelfer bei Erfüllung einer staatlichen Aufgabe tätig wird, sind die Vorschriften der §§ 17, 18 KSchG über eine Massenentlassungsanzeige gemäß § 23 Abs. 2 KSchG nicht anzuwenden.
2. Es liegt keine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn die Arbeitnehmer einer GmbH, deren Alleingesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist, in den Räumen einer Behörde des Bundes nach Weisungen des Geschäftsführers, dessen Beamtenverhältnis für diese Zeit zum Ruhen gebracht worden ist, mit der Erledigung staatlicher Aufgaben beschäftigt werden.
3. Ein Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG muss mit Rücksicht auf seinen Sanktionscharakter eine Sozialplanabfindung grundsätzlich übersteigen.
4. Auf einen Anspruch auf Nachteilsausgleich ist nur eine bereits gezahlte Sozialplanabfindung anzurechnen.
Normenkette
AÜG Art. 1 § 1 Abs. 1, 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 113 Abs. 3; BGB § 288 Abs. 2, § 613a Abs. 1 S. 1; RiL 98/59/EG Art. 1 Abs. 2 lit. b; KSchG § 1 Abs. 1 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1, § 23 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 27.05.2004; Aktenzeichen 36 Ca 16079/03) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Mai 2004 – 36 Ca 16079/03 – im Kostenausspruch und dahingehend geändert, dass die Beklagte zu 1 verurteilt wird, an den Kläger 80.684,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2004 zu zahlen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Gerichtskosten erster Instanz haben bei einem Streitwert von 130.451,65 EUR der Kläger zu 38,15 % und die Beklagte zu 1 zu 61,85 % zu tragen, während die Gerichtskosten der Berufungsinstanz bei einem Streitwert von 127.750,30 EUR vom Kläger zu 36,84 % und von der Beklagten zu 1 zu 63,16 % zu tragen sind.
Der Kläger hat die erstinstanzlichen Kosten der Beklagten zu 1 zu 22,09 % und deren zweitinstanzliche Kosten zu 20 % sowie sämtliche Kosten der Beklagten zu 2 zu tragen, während die Beklagte zu 1 die erstinstanzlichen Kosten des Klägers zu 61,85 % und seine zweit-instanzlichen Kosten zu 63,16 % zu tragen hat.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1961 geborene Kläger stand seit dem 15. Mai 1991 in einem Arbeitsverhältnis zur T. (THA), der späteren Bundesanstalt für v. S. (BvS), und wurde zuletzt als Gruppenleiter im Bereich Vermögenszuordnung/Kommunalisierung (VK) beschäftigt. Die Erledigung dieser Aufgaben wurde für die Zeit ab 01. Januar 1999 aufgrund eines Rahmenvertrags auf die Beklagte zu 1 übertragen, die sie nach entsprechender Zuständigkeitsübertragung seit dem 01. Juli 1999 für den O.präsidenten (OFP) der O. Berlin durchführte. Die Beklagte zu 1 war von der BvS gegründet worden, die ihre Gesellschaftsanteile später auf die Beklagte zu 2 übertrug.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand zur Beklagten zu 1 weiter, wie durch inzwischen rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 22.03.2002 – 6 Sa 2314/01 und 527/02 – festgestellt wurde. Das Gehalt des Klägers belief sich zuletzt auf 6.723,70 EUR brutto im Monat.
Mit Schreiben des Bundesministeriums der F. (BMF) vom 05. Februar 2003 wurde die Beklagte zu 1 angewiesen, sich und die Arbeitsverhältnisse der rund 150 Arbeitnehmer zum 31. Dezember 2003 aufzulösen. Das durch den Rahmenvertrag begründete Vertragsverhältnis wurde vom OFP mit Schreiben vom 28. März 2003 gekündigt.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte zu 1 dem Kläger mit Schreiben vom 26. Mai 2003 zum 31. Dezember 2003. Unter dem 02. Oktober 2003 vereinbarte sie mit dem Betriebsrat einen Sozialplan (Ablichtung Bl. 132 – 234 d.A.), wonach der Kläger eine Abfindung in Höhe von 74.988,– EUR zu erhalten hat. Auf eine Massenentlassungsanzeige der Beklagten zu 1 vom 27. Oktober 2003 verhängte die Bundesanstalt für A. mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 26. November 2003 eine Entlassungssperre bis zum folgenden Tag.
Seit dem 01. Januar 2004 werden die Aufgaben der Beklagten zu 1 vom B.amt zur R. o.V. (BARoV) erledigt, das hierzu sämtliche Verfahrensakten von der Beklagten zu 1 übernahm.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Zugleich möchte er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zu 2 festgestellt wissen und von dieser weiter beschäftigt werden. Hilfsweise nimmt er die Beklagte zu 1 auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von erstinstanzlich 83.385,75 EUR in Anspruch.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 26. Mai 2003 sei aufgrund der beabsichtigt gewesenen Stilllegung des Betriebs der Beklagten zu 1, die zum Kündigungszeitpunkt auch schon greifbare ...