Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißglückter Arbeitsversuch
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuches, die im Sozialrecht aus dem Versicherungsprinzip abgeleitet wurde, läßt sich nicht auf das Arbeitsrecht (hier Lohnfortzahlung) übertragen.
2. Soll Arbeitsunfähigkeit sich daraus ergeben, daß der Arbeitnehmer die geschuldete Tätigkeit nur unter der Gefahr alsbaldiger Verschlimmerung seines Leidens aufnehmen kann, so setzt dies in der Person des betreffenden Arbeitsnehmers das Bewußtsein der Verschlimmerungsgefahr voraus und folglich entweder Kenntnis des Leidens oder zumindest subjektive Beschwerden, wer von seinem Leiden nichts weiß und auch keinerlei Beschwerden hat, ist nicht arbeitsunfähig.
Normenkette
LFZG § 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 25.06.1987; Aktenzeichen 43 Ca 105/87) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Juni 1987 – 43 Ca 105/87 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger trat am Donnerstag, dem 29. Januar 1987 als Büfettier in die Dienste der Beklagten. Das vereinbarte Monatsentgelt betrug 2.000,– DM brutto.
Zum Aufgabenbereich des Klägers gehörte u.a., Kisten mit gefüllten Getränkeflaschen aus dem Keller hochzutragen, um das Büfett aufzufüllen. Diese Kisten hatten ein Gewicht von schätzungsweise 15 bis 20 kg. Bei einen solchen Tragevorgang verspürte der Kläger plötzlich Schmerzen. Er hatte den Eindruck, sich verhoben zu haben und äußerte dies auch einem Kollegen gegenüber.
Der Kläger versah seinen Dienst dann noch bis zum Sonntag, dem 1. Februar 1987. An diesem Tage hatte er Frühschicht ab 10.00 Uhr und mußte wiederum das Büfett auffüllen. Wegen starker Schmerzen verließ er etwa um 14.30 Uhr seinen Arbeitsplatz und begab sich mit einer Taxe ins Rudolf-Virchow-Krankenhaus, wo auf der Erste-Hilfe-Station ein Leisten- und Nabelbruch diagnostiziert wurde.
Der Kläger wurde operiert und blieb bis zum 13. Februar 1987 in stationärer Behandlung. Danach war er jedenfalls noch während des Monats Februar weiterhin arbeitsunfähig.
Mit seiner am 12. März 1987 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten Klage hat der Kläger von dem Beklagten Lohnfortzahlung für den Monat Februar 1987 verlangt
und hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.000,– DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit den 12. März 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Lohnfortzahlung mit der Begründung verweigert, es habe ein „mißglückter Arbeitsversuch” vorgelegen, Hierzu hat sie auf ein Schreiben der Innungskrankenkasse der Gastwirte-Innung zu Berlin vom 25. März 1987 (Ablichtung Bl. 14 d.A.) verwiesen, in welchen die Innungskrankenkasse dem Kläger mitgeteilt hatte, er sei aufgrund seines Gesundheitszustandes von vorn herein nicht in der Lage gewesen, die ihm zugedachte Arbeit auszuüben (mißglückter Arbeitsversuch). Deshalb habe für sein Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten von Anfang an keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie keine Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung bestanden und er sei nicht Mitglied der IKK geworden. Wegen dieses Bescheides hat der Kläger das Sozialgericht angerufen.
Durch Urteil vom 25. Juni 1987 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe ihre Behauptung, der Kläger sei schon vor Beginn der Beschäftigung krank gewesen, nicht näher substantiiert. Die bloße Tatsache der Krankmeldung 3 Tage nach Arbeitsbeginn begründe nicht einmal einen Anschein dafür, daß die Erkrankung bei Arbeitsaufnahme bereits vorgelegen habe. Auch der Hinweis auf die Ansicht der Innungskrankenkasse ersetze die erforderliche Substantiierung nicht.
Gegen dieses der Beklagten am 9. Juli 1987 zugestellte Urteil richtet sich ihre an 6. August 1987 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingelegte Berufung, die weder eine ladungsfähige Anschrift des Berufungsbeklagten noch die Angabe oder Anschrift seines Prozeßbevollmächtigten enthält. Diese Berufung hat dem Landesarbeitsgericht indessen mit vollständiger Akte am Montag, dem 10. August 1987, vorgelegen.
Die Beklagte begründet ihre Berufung mit einem am 28. August 1987 eingegangenen Schriftsatz wie folgt: Sie hält sich zur Lohnfortzahlung nicht für verpflichtet, weil nach ihrer Behauptung der Kläger bereits vor Arbeitsaufnahme an einem Nabel- und Leistenbruch gelitten habe und deshalb zur Ausübung seiner Arbeit als Büfettier nicht fähig gewesen sei. Hierfür sprächen im Sinne eines ersten Anscheines sowohl der tatsächliche Ablauf als euch der Bescheid der IKK, was zumindest zu einer Umkehrung der Beweislast insofern führen müsse, als der Kläger diesen Anschein zu entkräften habe. Im übrigen lasse sich nicht mehr zurückverfolgen, ob der Kläger schon am Freitag, dem 30. oder erst am Sonnabend, dem 31. Januar 1987 seinen Kollegen … gebeten habe, für ihn Kisten aus dem Kell...