Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines Jugend- und Auszubildendenvertreters nach § 78 a Abs. 4 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Dringende betriebliche Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung i.S.d. § 78 a Abs. 4 S. 1 BetrVG begründen können, sind gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses im Betrieb des Arbeitgebers kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist auf dem der Auszubildende mit seiner in der Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann.
2. Ein Arbeitsplatz ist nicht schon dann frei, wenn ein tatsächlicher Beschäftigungsbedarf besteht, sondern nur, wenn er nach den organisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers frei, d. h. unbesetzt, ist. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, seine Arbeitsorganisation zu ändern und einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um den geschützten Auszubildenden weiterbeschäftigen zu können.
3. Ein freier Arbeitsplatz ist nicht bereits deshalb gegeben, weil im Betrieb des Arbeitgebers bisher Überstunden angefallen sind und auch weiterhin mit dem Anfallen von Überstunden zu rechnen ist Dabei ist zu berücksichtigen, daß es nicht ausreichend ist, daß rein rechnerisch die Anzahl der Überstunden im Betrieb am Quartalsende eine Vollzeitstelle ergeben, da die Schaffung eines Arbeitsplatzes geeignet sein müßte, die angefallenen Überstunden zu ersetzen, was i.ü. nur bei einem gleichmäßigen Anfall überhaupt denkbar wäre.
Normenkette
BetrVG § 78a
Verfahrensgang
ArbG Cottbus (Beschluss vom 24.07.1997; Aktenzeichen 1 BV 14/97) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Cottbus vom 24.07.1997 – 1 BV 14/97 – abgeändert:
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) wird aufgelöst.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob das zwischen der antragstellenden Arbeitgeberin – Beteiligte zu 1) – und der ehemaligen Auszubildenden D. P. – Beteiligte zu 2) – begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen ist.
Die Beteiligte P. begann ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau am 01.08.1994 bei der Arbeitgeberin, die ein Warenhaus mit ca. 150 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in C. betreibt. Seit dem 22.10.1996 war sie Ersatzmitglied in der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) und wurde zuletzt am 14.03. und 22.05.1997 zu Sitzungen herangezogen.
Am 17.03.1997 teilte die Arbeitgeberin der Beteiligten P. mit, daß eine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Ausbildung aufgrund der derzeitigen Personalsituation nicht möglich sei. Die Beteiligte P. die am 27.06.1997 ihre Abschlußprüfung bestand, machte am 22.05.1997 schriftlich gegenüber der Arbeitgeberin die Übernahme in ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis unter Hinweis auf § 78a BetrVG geltend.
Mit dem am 04.06.1997 beim Arbeitsgericht Cottbus eingegangenen Antrag im Beschlußverfahren hat die Arbeitgeberin zunächst die Feststellung begehrt, daß nach Ablauf der Ausbildungszeit ein Arbeitsverhältnis nicht begründet werde.
Sie hat die Auffassung vertreten, eine Weiterbeschäftigung der Beteiligten P. sei ihr aus dringenden betrieblichen Gründen unzumutbar, und hierzu vorgetragen: Eine wirtschaftliche Effektivitätsberechnung habe ergeben, daß in der C. Filiale nur noch für 139 Vollzeitkräfte statt zuvor 152 Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden. Aus diesem Grund sei eine Reihe von Kündigungen in den Monaten Februar/März 1997 erforderlich geworden. Teilweise bis in das Jahr 1998 müsse ein weiterer Personalabbau durchgeführt werden. Ein freier Arbeitsplatz stehe deshalb für die Beteiligte F. nicht zur Verfügung.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Beteiligten Poetsch mit ihr aufgelöst wird.
Die Beteiligte P. sowie die weiteren Beteiligten zu 2) und 3), der Betriebsrat sowie die JAV, haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, eine Weiterbeschäftigung des JAV-Mitgliedes sei zumutbar, wobei für die Bewertung der Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB anzulegen sei. Hiernach, so meinen sie, habe die Arbeitgeberin der Beteiligten P. den zum 01.08.1997 zu besetzenden Arbeitsplatz einer Ersten Verkäuferin anbieten müssen. Jedenfalls sei es der Arbeitgeberin zumutbar gewesen, eine Beschäftigungsmöglichkeit für das JAV-Mitglied zu schaffen, indem die Überstunden, die bei mindestens 26 Arbeitnehmern über den nach der einschlägigen Betriebsvereinbarung zulässigen Korridor von 10 Stunden im ersten Quartal 1997 hinausgegangen seien, abgebaut würden.
Das Arbeitsgericht Cottbus hat mit dem am 24.07.1997 verkündeten Beschluß, auf dessen Gründe wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 38 bis 41 d.A.), den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Arbeitgeberin habe zumutbare Vorkehrungen treffen müssen, um die Weiterbeschäftigung der Beteiligten P. zu ermöglichen, wozu auch der Abbau von Überstunden gehöre. Da sowohl im ersten Quartal 1997 884,99 Überstunden als auch im zwe...