Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl. Altersgruppenbildung. Berechtigte betriebliche Belange. Altersgruppenbildung in Kindertagesstätten
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist berechtigt, bei Massenentlassungen gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung Altersgruppen zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur zu bilden. Dabei darf der öffentliche Arbeitgeber aber Kündigungen in einer bestimmten Altersgruppe nur proportional ihrer Beteiligung an der Gesamtbelegschaft aussprechen. Eine überproportionale Heranziehung einer Altersgruppe zur Kündigung bei Massenentlassungen in deren Folge objektiv eine Verjüngung der Belegschaft eintritt, führt zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3 S. 2, § 17 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Eberswalde (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 1 Ca 1178/03) |
Tenor
1.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 27.11.2003 – 1 Ca 1178/03 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin und hier insbesondere um die ordnungsgemäße Sozialauswahl.
Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt, die als kommunale Trägerin mehrere Kindertagesstätten mit zuletzt 79 Erzieherinnen betreibt, ebenfalls als Erziehern mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden und einem Bruttomonatsverdienst i. H. v. 1.828,73 EUR seit dem 11.05.1981 tätig. Sie ist am 22.02.1958 geboren und verheiratet.
Zum notwendigen Personalabbau im pädagogischen Bereich der beklagten Stadt schloss diese mit ihrem Personalrat eine Dienstvereinbarung zum 31.08.2001 mit einer zweijährigen Laufzeit ab (vgl. 47 b. 50 d. A.). Danach war bei betriebsbedingten Kündigungen für die Bewertung der Sozialdaten ein Punktesystem vorgesehen und das pädagogische Personal in vier Altersgruppen aufgeteilt. In der Sitzung des Verwaltungsrats am 02.06.2004 entschied die beklagte Stadt, das Angebot an Kindertagesbetreuung dem reduzierten Rechtsanspruch auf Betreuung und den sinkenden Kinderzahlen anzupassen und kündigte insgesamt 9 Erzieherinnen, darunter auch der Klägerin. Zum Zeitpunkt der Kündigung befanden sich in der Altersgruppe A (Jahrgänge 1981 – 1972) 5 Erzieherinnen, was einem Anteil von 6,32 % an der Gesamtbeschäftigtenzahl ausmacht und auf die bei proportionaler Berücksichtigung 0,56 Kündigungen entfielen. In der Altersgruppe B (Jahrgänge 1971 – 1962) befanden sich ebenfalls 5 Erzieherinnen mit einem Anteil von 6,32 % an der Gesamtbeschäftigtenzahl und einem proportionalen Anteil von 0,56 Kündigungen. In der Altersgruppe C (Jahrgänge 1961 – 1952) befanden sich 51 Erzieherinnen mit einem Anteil von 64,55 % an der Gesamtbeschäftigtenzahl und einem proportionalen Anteil von 5,8 Kündigungen. In der Altersgruppe D (Jahrgänge 1951 – 1936) befanden sich 18 Erzieherinnen mit einem Anteil von 22,78 % an der Gesamtbeschäftigtenzahl und einem proportionalen Anteil von 2,05 Kündigungen. Tatsächlich kündigte die beklagte Stadt 7 Erzieherinnen aus der Altersgruppe C und 2 Erzieherinnen aus der Altersgruppe D. Die Klägerin steht an der 8. Rangstelle der Altersgruppe C und verfügt mit 164 sozialen Auswahlpunkten über ebensoviel Punkte wie ihre Kollegin Gxxxxxxx Rxxx, die auf Platz 7 in der Altersgruppe C steht. Nach einer Einzelfallbetrachtung tauschte die Beklagte die Rangfolge zwischen beiden Personen; Frau Rxxx wurde nicht gekündigt.
Mit Schreiben vom 05.06.2003 beantragt die beklagte Stadt die Zustimmung ihres Personalrats zur Kündigung der Klägerin. Der Personalrat äußerte sich nicht.
Mit Schreiben vom 24.06.2003, der Klägerin am 25.06.2003 zugestellt, kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2003. Mit Schreiben vom 11.07.2003, der beklagten Stadt am 14.07.2003 zugegangen, ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Kündigung zurückweisen.
Mit ihrer am 15. Juli 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrte die Klägerin Kündigungsschutz, bestritt die betriebsbedingten Gründe für die Kündigung, rügte die Sozialauswahl als grob fehlerhaft, hier insbesondere die Unterteilung der Arbeitnehmer in verschiedene Altersgruppen als willkürlich, behauptete die Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 174 BGB und bestritt die ordnungsgemäß Anhörung des Personalrats.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.06.2003 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptete, unter Zugrundlegung des Betreuungsschlüssels der Kita-Personalverordnung sei per 31.12.2003 ein Personalüberhang von 9 Mitarbeiterinnen ermittelt worden. Bei der Sozialauswahl habe die Beklagte sich an die Vorgaben der Dienstvereinbarung gehalten. Sie habe ein besonderes, berechtigtes betriebliches Interesse an der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur im E...