Entscheidungsstichwort (Thema)

Versetzung des Arbeitnehmers in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit auf Grund tarifvertraglich erweiterten Direktionsrechts (V.)

 

Leitsatz (amtlich)

Die tarifvertragliche Versetzungsbefugnis nach § 5 Abs. 1 TV Ratio in d. F. v. 29.06.2002 beinhaltet eine nicht mehr mit den Wertungen des § 2 KSchG zu vereinbarende Regelung des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Die Bestimmungen des TV Ratio beinhalten eine dauerhafte und erhebliche Umgestaltung der Arbeitsvertraglichen Pflichten des von der Zuordnung zu V. betroffenen Arbeitnehmers. Dies ist ein Eingriff in den kündigungsschutzrechtlich gesicherten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses.

 

Normenkette

Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung

 

Verfahrensgang

ArbG Potsdam (Urteil vom 07.12.2004; Aktenzeichen 5 Ca 1325/04)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 7. Dezember 2004 – 5 Ca 1325/04 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung des Klägers in die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit der Beklagten (V.) und über einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz.

Der 1969 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. September 1985 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 1. Juli 1991 (noch mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten) wurde festgelegt, dass für das Arbeitsverhältnis „die für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten/Arbeiter (TV Ang (Ost) bzw. TV Arb (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge für die Angestellten/Arbeiter in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart” gelten. Zuletzt war der Kläger aufgrund einer Versetzung vom 13. März 2001 im Bereich BBN 25 der T. Niederlassung P. (T NL P.) – seit dem 1. November 2003 die sog. TI NL NO – als Aufbauleiter mit der Aufgabenträger-Nummer (At-Nr.) 554 45 der Aufgabengruppe 554 zu einem Bruttomonatsverdienst von 3.252,87 Euro am Standort/der Regelarbeitsstelle P.-M. tätig. Insgesamt waren bei der T NL P. zehn BBN über die regionale Fläche der Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gebildet. Das BBN 25 umfasste die Standorte/Regelarbeitsstellen P., L., K. und Z., zwischen denen bis zu 83 Entfernungskilometer liegen. Dem Ressortleiter BBN 25 unterstanden die Gruppenleiter, die ihrerseits die unmittelbaren Vorgesetzten der Aufbauleiter und der weiteren Mitarbeiter waren. Mit Wirkung zum 1. November 2003 wurden das BBN 25 und das BBN 27 zu einer neuen Einheit mit der Bezeichnung PTI 22 zusammengefasst.

Am 29. Juni 2002 schlossen die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di u.a. den am 31. Juli 2002 in Kraft getretenen Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio), nach dessen Regelungen Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und nach einem näher geregelten Auswahlverfahren zu einer Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (heutige Bezeichnung: V.) versetzt werden können. Die wichtigsten Ziele des TV Ratio sind die Sicherung von Arbeitsplätzen und die sozialverträgliche Umsetzung vielfältiger wirtschaftlicher, organisatorischer und personeller Maßnahmen. Vorrangige Aufgabe von V. ist es, die versetzten Arbeiter und Angestellten (so genannte „Transfermitarbeiter”) auf gleichwertige bzw. zumutbare Dauerarbeitsplätze oder zumindest in zeitlich begrenzte Projekteinsätze konzernintern oder -extern weiterzuvermitteln sowie Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen. Betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus Anlass von Rationalisierungsmaßnahmen scheiden nach § 11 Abs. 1 TV-Ratio bis zum 31. Dezember 2004 (mittlerweile verlängert bis zum 31. Dezember 2008) grundsätzlich aus und sind nur unter den Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2 TV Ratio möglich. Wegen des vollständigen Wortlauts des TV Ratio vom 29. Juni 2002 nebst Anlagen (Lesefassung i.d.F. vom 1. Oktober 2003) wird auf die Anlage B 1 des Schriftsatzes der Beklagten vom 7. Juni 2004 (Bl. 54 bis 81 d. A.) Bezug genommen.

Mit einer Vereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan zur Umsetzung der Rationalisierungsvorhaben im Jahr 2003 (ZIA 2003; auf Bl. 82 – 87 d.A. wird verwiesen) und einer Vereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan über die Bildung neuer Niederlassungen in Produktion und Service (NICE; auf Bl. 88 – 90 d.A. wird verwiesen) wurden zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat u.a. den Bereich BBN 25 und die Aufgabengruppe 554 betreffende Rationalisierungsmaßnahmen vereinbart. Gemäß § 1 Abs. 3 ZIA 2003 ergehen Einzelanweisungen, die unter Berücksichtigung der Rationalisierungsmaßnahmen die neuen Personalbedarfe angeben. Sie beinhalten die mit dem Gesamtbetriebsrat abgestimmten und auf die einzelnen Aufgabengruppen sowie Aufgabentr...

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