Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung. Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb Vivento. Änderungskündigung. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Die nicht einvernehmlich erfolgende Versetzung eines Arbeitnehmers in den Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb Vivento der Deutschen Telekom ist nur im Wege der Änderungskündigung rechtswirksam möglich.
2. Soweit § 5 Abs. 1 TV Ratio vorsieht, dass nach Maßgabe der §§ 3 und 4 TV Ratio „identifizierte” Arbeitnehmer im Wege des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts in den Betrieb Vivento versetzt werden können, haben die Tarifvertragsparteien die ihnen zukommende tarifliche Regelungsmacht überschritten.
Normenkette
GG Art. 2, 9, 12; KSchG §§ 1-2; BGB §§ 611, 613a, 622; TV Ratio Deutsche Telekom §§ 3-5, 7, 11; MTV Telekom §§ 25-26
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen 7 Ca 2131/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.08.2005, AZ 7 Ca 2131/04, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Versetzung vom 27.11.2003 unwirksam ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Versetzung des Klägers in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V.
Der am 15.12.1957 geborene Kläger ist verheiratet und für ein Kind unterhaltsverpflichtet. In einem Sozialfragebogen vom 10.10.2003 hatte der Kläger angegeben, dass seine Ehefrau schwerbehindert und nicht erwerbstätig und seine Eltern pflegebedürftig seien.
Der Kläger steht seit dem 01.09.1972 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgängern. Der Kläger war zuletzt im Bereich Premium Front Office und Back Office der Privatkundenniederlassung West als Agent im Premium Back Office mit der Aufgabenträgernummer 22427 am Standort Köln tätig. Bei der PK NL West mit Sitz in Mönchengladbach handelt es sich um eine Organisationseinheit der Beklagten mit eigenem Betriebsrat.
Der Kläger war zuletzt in die Entgeltgruppe T 5 eingruppiert und gemäß § 26 MTV der D unkündbar.
Im Rahmen der zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat der Beklagten für das Jahr 2003 abgeschlossenen „Vereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan zur Umsetzung von Rationalisierungsvorhaben im Jahr 2003” (ZIA 2003) wurde festgelegt, dass bundesweit im Aufgabenbereich PFO/PBO (Aufgabengruppe 224) 936 Personalposten abzubauen seien. Mit der im Nachgang zum ZIA 2003 ergangenen Einzelanweisung vom 25.08.2003 wurde den acht bei der Beklagten gebildeten Privatkundenniederlassungen mitgeteilt, dass die PK NL West im Ressort PFO/PBO insgesamt 135,5 Personaleinheiten abzubauen habe. Dies soll nach Darstellung der Beklagten in der Klageerwiderung vom 12.08.2004 dazu geführt haben, dass im Bereich PBO KB, zu dem auch die für den Kläger einschlägige At-Nr. 22427 gehört, ein Personalabbau von 35,8 Personaleinheiten erforderlich gewesen sei, der sich durch kurzfristige Personalbestandsveränderungen auf 32,8 Personaleinheiten reduziert habe.
Die Beklagte schritt daraufhin zu einer „Identifizierung” im Sinne von § 3 des Tarifvertrages Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) in der Fassung vom 01.10.2003 durch eine Clearingstelle I gemäß § 4 TV Ratio. Auf den Inhalt der §§ 3 und 4 TV Ratio wird Bezug genommen.
Der Kläger gehörte zu den nach §§ 3 und 4 TV Ratio „identifizierten” Arbeitnehmern. Wegen der Einzelheiten des den Kläger betreffenden Identifizierungsverfahrens wird auf Seite 13 ff. der Klageerwiderung vom 12.08.2004 (Bl. 90 ff. d. A.) Bezug genommen.
Gemäß § 3 des zuletzt maßgeblichen Arbeitsvertrages des Klägers vom 01.09.2001 (Bl. 64 f. d. A.) finden auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die für den Arbeitgeber geltenden, betrieblich – fachlich einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages lautet:
„Der Arbeitgeber behält sich vor, den Arbeitnehmer innerhalb des Unternehmens auch an einem anderen Ort zu beschäftigen, sowie ihm eine andere oder zusätzliche, seiner Eignung und seinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu übertragen.”
Mit Schreiben vom 27.11.2003 versetzte die Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 TV Ratio mit Wirkung zum 01.12.2003 in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V. § 5 TV Ratio über die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V lautet auszugsweise wie folgt:
Abs. 1: „Der nach den §§ 3 und 4 identifizierte Arbeitnehmer wird in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (V) versetzt. Diese Versetzung ist zumutbar und gleichwertig.”
Abs. 3: „Bis zur Weitervermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz erfolgen vorübergehende Beschäftigungen, auch in Form der Zeit- bzw. Leiharbeit i. S. d. AÜG, innerhalb und außerhalb des Konzerns D. Die Beschäftigungseinsätze in Leih- und Zeitarbeit erfolgen im Regelfall wohnortnah und/oder berufsbezogen. Die bei vorübergehenden Beschäftigungen hierbei jeweils auszuübende Tätigkeit ist für den Arbeitnehmer zumutbar u...