Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streit über die Auszahlung einer sog. "Corona-Prämie" nach § 150a SGB XI
Leitsatz (redaktionell)
Streitet sich eine Pflegekraft mit ihrem Arbeitgeber über die Höhe und die Auszahlung einer sog. "Corona-Prämie" nach § 150a SGB XI, so handelt es sich um eine privatrechtliche Natur des Anspruchs aus dem Arbeitsverhältnis. Damit liegt eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor, die den Arbeitsgerichten zugewiesen ist.
Normenkette
ArbGG § 82 Abs. 1 Nr. 3a; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; GVG § 17a Abs. 3 S. 2; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2; SGB X § 53; SGB XI §§ 72, 150a Abs. 1, 9
Verfahrensgang
ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 23.02.2021; Aktenzeichen 12 Ca 12223/20) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 23.02.2021 - 12 Ca 12223/20 - abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
2. Die Kosten der Beschwerde hat die Beklagte zu tragen.
3. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die zutreffende Berechnung der Corona-Prämie nach § 150a SGB XI.
Die Klägerin ist seit dem 1. August 2014 mit einer monatlichen Arbeitszeit von 130 Stunden als Pflegehilfe bei der Beklagten beschäftigt. Ihre Tätigkeit besteht in der direkten Pflege und in der Betreuung von Pflegebedürftigen.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin eine Corona-Prämie nach § 150a SGBXI i.H.v. EUR 960,00. Bei der Berechnung wurden die Arbeitszeit der Klägerin sowie die Aufstockung durch das Land Bremen gem. § 150a Abs. 9 SGB XI berücksichtigt. Die Beklagte teilte die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen der Prämienberechnung zudem in "Leistungen für den Pflegedienst" und in "Leistungen aufgrund privatrechtlicher Vereinbarung mit den Kunden" auf, wobei sie die Corona-Prämie nur für erstgenannte Leistungen zahlte, welche nach ihrer Berechnung 75 % der Gesamtarbeitsleistung ausmachen.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin die restlichen 25 % der Corona-Prämie (EUR 325,68) geltend. Sie ist der Auffassung, dass ihr die Prämie bezogen auf ihre gesamte Arbeitsleistung zustehe. Wegen der konkreten Berechnung wird auf Seite 2 der Klageschrift vom 15. Dezember 2021 (Bl. 2 d.A.) verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 hat die Beklagte die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit gerügt und die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG handele mit der Folge, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sei.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sei. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG seien nicht erfüllt. Es handele sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Die hier vorliegende Streitigkeit sei vielmehr privatrechtlicher Natur. Dies ergebe sich daraus, dass § 150a SGB XI einen Anspruch des Beschäftigten gegenüber seinem Arbeitgeber normiere. Anknüpfungspunkt für die Corona-Prämie sei die konkrete Arbeitsleistung des Beschäftigten und damit das Arbeitsverhältnis. Dass der Arbeitgeber den Anspruch über die Pflegekassen finanziere, spreche nicht gegen die privatrechtliche Natur der Streitigkeit. Auch bei anderen Leistungen - so beispielsweise beim Kurzarbeitergeld oder im Rahmen des Umlageverfahrens bei der Entgeltfortzahlung - finanziere der Arbeitgeber den Anspruch über Dritte, ohne dass dem Arbeitnehmer dadurch der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten verwehrt werde. Außerdem spreche eine ggf. nötige Aufspaltung des Rechtswegs gegen die Zuständigkeit der Sozialgerichte, die im Falle der freiwilligen Aufstockung der Prämie durch den Arbeitgeber auftreten könnte. Sofern hier Streitigkeiten entstünden, müssten diese vor zwei Gerichtsbarkeiten geführt werden.
Mit Beschluss vom 23. Februar 2021 hat sich das Arbeitsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht verwiesen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die vorliegende Streitigkeit sei öffentlich-rechtlicher Natur. Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin folge aus § 150 a SGB XI, d.h. aus einer Norm des Sozialversicherungsrechts. Ergäben sich Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Ansprüche, wie hier, aus dem Sozialversicherungsrecht, liege grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Dem stehe nicht entgegen, dass der hier zu entscheidende Rechtsstreit zwischen zwei Personen des Privatrechts geführt werde. Entgegen der Auffassung der Klägerin und entgegen der Auffassung von Bruns/Weber (NZA 2021, 107) knüpfe die Prämie nicht vordergründig an die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber an. Mit der Prämie solle im Rahmen der Pandemie die besondere Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten ausgedrückt werden, die gegenwärtig besonderen Anforderungen ausgesetzt seien. Außerdem solle den besonderen physischen und psychischen Belastungen sowie dem erhöhten Risiko, selbst an Covid-19 zu erkranken, Rechnung getragen ...