Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Kündigungsschutzklage bei unzureichenden Vorkehrungen zur Ermöglichung einer tatsächlichen Kenntnisnahme der Kündigungserklärung während wiederholter langfristiger Auslandsaufenthalte
Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle von Ortsabwesenheiten mit einer Dauer von deutlich über sechs Wochen genügt die Anweisung des Arbeitnehmers an den Mieter seines Hauses nicht, ihm die eingehende Post gesammelt ungefähr einmal im Monat ins Ausland (hier: Katar) - mit langen Postlaufzeiten - nachzuschicken. Denn diese Vorkehrung stellt nicht sicher, dass der Arbeitnehmer von dem Inhalt wichtiger Schreiben so rechtzeitig Kenntnis nehmen kann, um gesetzliche Fristen einhalten zu können. Dies ergibt sich bereits aus der Nachsendung nur einmal im Monat und zusätzlich aus den langen Postlaufzeiten.
2. Entfernt jemand die an der ursprünglichen Adresse vorhandene Empfangsvorrichtung und stellt einen Postnachsendeantrag, kann es regelmäßig keinen Zugang mehr im Sinne von § 130 Abs. 1 S. 1 BGB an der ursprünglichen Adresse geben. Die verkörperten Willenserklärungen gehen dann erst im Moment des Zuganges an der neuen Adresse zu. In diesem Fall gibt es keinen Zugang der Erklärung mehr an der alten Adresse des Arbeitnehmers, auf dessen Grundlage ein Arbeitgeber nach Ablauf von drei Wochen auf den Bestand der Kündigungserklärung vertrauen könnte. Anders ist es zu beurteilen, wenn ein Arbeitnehmer einen Nachsendeantrag bei der Post stellt und gleichzeitig für den Rechtsverkehr weiterhin eine Empfangsvorrichtung an der ursprünglichen Adresse beibehält. Denn in diesem Fall kann der Rechtsverkehr und damit auch der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer bewusst diese Empfangsvorrichtung weiterhin vorhält und ausreichende Vorkehrungen getroffen hat, um rechtzeitig tatsächlich von rechtserheblichen Erklärungen Kenntnis zu nehmen, die in diese Empfangsvorrichtung eingelegt werden und damit nicht aufgrund eines etwaigen Postnachsendeantrags weitergeleitet werden.
3. Kann der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer selbst ausreichende Vorkehrungen zur tatsächlichen Kenntnisnahme eingehender Erklärungen getroffen hat, muss er es nicht für notwendig halten, selber durch formlose Anzeigen an den Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers oder die etwaig bekannte Adresse des Arbeitgebers des Arbeitnehmers in Katar eine solche zeitnah tatsächliche Kenntnisnahme sicherzustellen.
Normenkette
BGB § 130; KSchG § 5; BGB § 130 Abs. 1 S. 1, §§ 242, 611a; KSchG § 4 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Sätze 2-3
Verfahrensgang
ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 13.12.2016; Aktenzeichen 6 Ca 6172/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 13. Dezember 2016 - 6 Ca 6172/16 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. In diesem Zusammenhang streiten sie vorab darüber, ob die Klage gegen die Kündigung verspätet und ggf. nachträglich zuzulassen ist.
Der am ... geborene Kläger ist seit dem 01. Februar 2010 bei der Beklagten als Chefarzt für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Klinik für G. auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 29. Dezember 2009 beschäftigt und erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 27.500,00 EUR.
Der Kläger ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und er arbeitet seit Jahren ausschließlich im speziellen Fachgebiet der Geburtshilfe. Die von der Beklagten betriebene Klinik für G. wurde im Februar 2012 auf unbestimmte Zeit geschlossen. Dies erfolgte vor dem Hintergrund des sogenannten Keim-Skandals bei dem in der N. Klinik der Beklagten mehrere zu früh geborene Kinder nach Keiminfektionen starben.
Die Beklagte hat dem Kläger gegenüber bereits vor der nunmehr streitgegenständlichen Kündigung mehrere Kündigungen ausgesprochen. Den hiergegen vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklagen ist jeweils rechtskräftig stattgegeben worden (Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven vom 04.12.2013 - 7 Ca 7330/13 -; LAG Bremen vom 28.01.2015 - 3 Sa 23/14 -; LAG Bremen vom 03.08.2016 - 3 Sa 18/16 -).
In der Vergangenheit hat die Beklagte dem Kläger alle rechtsverbindlichen Erklärungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, insbesondere Kündigungen und Erklärungen über einen Betriebsübergang entweder persönlich übergeben oder per Einschreiben an die Wohnanschrift des Klägers übersendet und seit Einschaltung des nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers diesen in jedem Einzelfall parallel durch Übersendung einer Kopie informiert. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zudem zu veranlassen, dass künftig alle für den Kläger bestimmten Schreiben der Beklag...