Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Betriebliche Übung. Arbeiten während des Betriebes ohne Sicherungsposten innerhalb des Gleis- oder Weichenbereichs
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung der Nr. 18 c der Anlage 1 Abschnitt E LTV Deutsche Bahn i.V.m. § 9 ZTV Deutsche Bahn
- Das Tarifmerkmal „Arbeiten während des Betriebes ohne Sicherungsposten innerhalb des Gleis- oder Weichenbereichs” liegt nur dann vor, wenn diese Arbeiten in der Regel mit Sicherungsposten durchgeführt werden und nur ausnahmsweise eine solche Sicherung nicht erfolgt.
- Eine Tätigkeit „innerhalb des Gleis- oder Weichenbereichs” liegt nur vor, wenn die Arbeiten im fließenden Zugverkehr erfolgen, nicht aber, wenn sie innerhalb stehender und durch Signale gesicherter Züge ausgeübt werden.
2. Eine tarifliche Übung kann dann nicht entstehen, wenn der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers – Zahlung einer Zulage über mehrere Jahre – schließt, der Arbeitgeber wolle eine Leistung erbringen, auf die der Arbeitnehmer seiner Meinung nach einen tarifvertraglichen Anspruch hat. Der Arbeitnehmer geht dann offensichtlich selbst davon aus, dass der für die Entstehung einer betrieblichen Übung erforderliche Verpflichtungswille des Arbeitgebers für eine Leistung, die er nicht bereits aus anderen Rechtsgründen schuldet, nicht vorliegt.
Normenkette
LTV Deutsche Bahn Nr. 18c der Anlage 1 Abschnitt E; ZTV Deutsche Bahn § 9
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 08.08.2002 – Az.: 5 Ca 5209/02 – abgeändert.
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu je ¼.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch der Kläger auf Zahlung einer tariflichen Erschwerniszulage.
Zwei der Kläger sind seit den 70iger Jahren, ein Kläger ist seit 1991, ein weiterer Kläger seit 1995 als Wagenmeister bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in der Bahnanlage Seelze/Rbg beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der D. AG sowohl kraft beiderseitiger Tarifbindung als auch aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme Anwendung.
Seit acht bis zehn Jahren, möglicherweise auch länger, bis einschließlich Oktober 2001 erhielten die Kläger von der Beklagten die Zulage Nr. 18 c Anlage 1 Abschnitt E des Lohntarifvertrages (LTV) in Verbindung mit § 9 des Zulagentarifvertrages für die Arbeitnehmerin/den Arbeitnehmer der D. AG (ZTV) in Höhe von DM 0,86 brutto bzw. EUR 0,44 brutto pro Stunde. Der genaue Zeitpunkt des Beginns der Zahlungen ist nicht mehr feststellbar.
Anlage 1 Abschnitt E Nr. 18 c des LTV sieht eine Zulagenberechtigung für folgende Tätigkeiten vor:
„…
c) Arbeiten während des Betriebs ohne Sicherungsposten innerhalb des Gleis- oder Weichenbereichs …
Für Urlaubs-, Krankheits- und Bürostunden werden insoweit keine Zulagen gezahlt.”
Diese tarifliche Regelung ist seit 1960 im Wesentlichen unverändert geblieben.
§ 9 ZTV hat folgenden Worltaut:
„Besitzstandszulagen
Die Tarifstellen lfd. Nr. 15 c, 18 b und 18 c der Anlage 1 Abschnitt E LTV/LTV-DR sowie Anlage 4 Abschnitt E, Teil B Vz ATV 5 finden dem Grunde nach und in der Höhe von einheitlich DM 0,86 solange Anwendung, bis eine Prämienregelung im Sinne von § d3 ZTV für diesen Personenkreis in Kraft tritt.”
Diese in § 9 ZTV erwähnten Tarifverhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass die Regelung weiterhin Gültigkeit hat.
Zu den tarifvertraglichen Bestimmungen sind „zusätzliche Durchführungsbestimmungen (ZD)” zum LTV ergangen, in denen es u.a. heißt:
„Zu Tarifstelle lfd. Nr. 18 c
- Der Begriff „während des Betriebs” findet Anwendung, sobald mit einer Zug- oder Rangierfahrt gerechnet werden muss.
- Der Begriff „innerhalb des Gleis- und Weichenbereichs” umfasst den Gefahrenbereich, in dem Arbeiter durch bewegte Schienenfahrzeuge gefährdet werden können und den freizuhaltenden lichten Raum (vgl. auch DS 132 03, Abschnitt 2, Abs. 23 bis 25).”
In der Sammlung von Verfügungen zum LTV für die Arbeiter der D. (SVL), die Verfügungen des Vorstands und der zentralen Hauptverwaltung sowie der Bundesbahndirektionen enthält, heißt es bzgl. der Zulage 18 c:
„Die EZ für Arbeiten während des Betriebes ohne Sicherungsposten innerhalb des Gleis- oder Weichenbereiches kommt in Betracht, wenn gemäß Abschnitt 10 der DS 132 03 nach Entscheidung der Sicherungsaufsicht ohne Sicherungsposten gearbeitet werden kann.”
In der DS 132 03, die in den zusätzlichen Durchführungsbestimmungen ZD zum LTV in Bezug genommen worden ist, wird beschrieben welche Arbeiten unter dem Terminus „Arbeiten im Gleis- und Weichenbereich” zu verstehen sind. So ist unter der Ziff. 2 (9) „Begriffserklärungen” ausgeführt, dass hierunter
„alle Tätigkeiten im Gefahrenbereich der Gleise bei Erstellung, Instandhaltung (Inspektion, Wartung, Instandsetzung), Reinigung und Besichtigung von Bahnanlagen und anderen Anlagen sowie Le...