Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen der tatsächlichen Weitergabe von Tarifgehaltserhöhungen an alle Arbeitnehmer durch einen tarifgebundenen Arbeitgeber. Rechtsfolgen des Wechsels in eine OT-Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband
Leitsatz (amtlich)
1. Ein tarifgebundener Arbeitgeber, der die Tarifentgelterhöhungen - ungeachtet der Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitnehmers - an alle Arbeitnehmer weitergibt, will sich im Regelfall nicht über die Zeit seiner Tarifgebundenheit hinaus ohne die Möglichkeit einer Kündigung des Tarifvertrages oder eines Verbandsaustritts dauerhaft vertraglich binden. Deshalb führt auch allein die tatsächliche Weitergabe von Tarifgehaltserhöhungen an die Arbeitnehmer auch über einen längeren Zeitraum nach dem Wechsel des Arbeitgebers in eine OT - Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte noch nicht zu einem Vertrauenstatbestand und einer betrieblichen Übung.
2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitnehmer von diesem Wechsel in eine OT - Mitgliedschaft erst nach längerer Zeit Kenntnis erlangt haben und deshalb von einer fortbestehenden Tarifbindung des Arbeitgebers in diesem Zeitraum ausgehen mussten.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, § 4
Verfahrensgang
ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 01.06.2017; Aktenzeichen 9 Ca 9069/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 1. Juni 2017 - 9 Ca 9069/17 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten.
Der Kläger ist seit dem 01.10.1998 als Redakteur bei der Beklagten beschäftigt. Er ist ver.di-Mitglied.
Der zwischen den Parteien unter dem 10.09.1998 geschlossene Arbeitsvertrag (Anlage K1, Bl. 11ff. d.A.) enthält u.a. folgende Regelungen:
"...§ 6 Gehalt
Der Redakteur wird in der Gehaltsgruppe R III a) des Gehaltstarifs vom 01.01.1998 eingestuft. Sein monatliches tarifliches Bruttogehalt beträgt 6.763,00 DM.
§ 15 Sonstiges
(1) Im Übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen..."
Am 20.09.2005 wechselte die Beklagte von einer Mitgliedschaft mit Tarifbindung in eine so genannte OT-Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. Trotz dieses Wechsels in eine OT-Mitgliedschaft gab die Beklagte die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariferhöhungen an den Kläger weiter.
Der seit dem 01.01.2016 geltende Gehaltstarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen sieht ab dem 01.06.2016 eine Erhöhung des Tarifgehalts von 1,5 % vor. Diese Erhöhung des Tarifgehalts wurde durch die Beklagte nicht an den Kläger weitergegeben.
Mit Schreiben vom 02.08.2016 (Anlage K9, Bl. 32 d.A.) machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Auszahlung fehlenden Gehalts - 74,00 €/Monat - für den Zeitraum Juni und Juli 2016 geltend.
Mit ihrer am 27.02.2017 beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven eingegangenen Klage verfolgt der Kläger seine Ansprüche gegenüber der Beklagten für die Monate Juni 2016 bis Dezember 2016 in Höhe von € 74,31 monatlich weiter.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es sei ein Anspruch auf Gewährung der Tariferhöhungen aus betrieblicher Übung entstanden. Die Redakteure hätten darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte sich dauerhaft entsprechend der Tarifentwicklung verhalten werde. Denn nach dem Wechsel in die OT-Mitgliedschaft habe die Beklagte die Tariferhöhungen über 10 Jahre lang an ihre Arbeitnehmer weitergegeben. Den Wechsel in die OT-Mitgliedschaft habe die Beklagte weder der Belegschaft noch der bestehenden Interessenvertretung mitgeteilt, sondern den Glauben an die Vollmitgliedschaft unverändert bei der Belegschaft bestehen lassen. Für den Kläger sei aufgrund dieses Verhaltens kein anderer Rückschluss möglich gewesen, als darauf zu vertrauen, dass die Beklagte auch künftig die Tariflohnerhöhungen weitergeben werde. Auf ein Bewusstsein, dahingehend, dass es sich um eine sog. betriebliche Übung handele, komme es nicht an. Im Übrigen würden auch die Gehaltsabrechnungen einen "Tariflohn" ausweisen. Im Jahre 2011 hätten die Beschäftigten der Beklagten im Rahmen der laufenden Tarifrunde im Haus der Bremer Tageszeitungen AG zudem ohne Konsequenzen seitens des Verlages gestreikt. Im Zuge dieses Streiks sei eine Meinungsverschiedenheit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberseite über die Zahlung sogenannter Streikbruchprämien entbrannt. Der Streit sei letztlich in einer Einigungsstelle beigelegt worden (Anlage K10, Bl. 73 ff. d.A.). Diese Tatsache lasse einzig und allein den Schluss darauf zu, dass die Beklagte sich wie ein tarifgebundener Arbeitgeber verhalten habe und der Belegschaft unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, dass er nach wie vor tarifgebunden handele. Damit habe er einen Vertrauenstatbestand bei dem Kläger und der Belegschaft geschaffen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 520,17 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten ...