Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachvortragsverwertungsverbot der durch den Arbeitgeber ausgewerteten und auf dem Dienstrechner einzusehenden WhatsApp-Korrespondenz nach vagem Hinweis auf das Vorliegen einer Straftat. Diebstahl von Bargeld zu Lasten einer Arbeitskollegin. Aufrechnung des Arbeitgebers bei überzahlter Arbeitsvergütung
Leitsatz (amtlich)
1. Tatsachen von denen ein Arbeitgeber dadurch Kenntnis erlangt, dass er nach einem lediglich vagen Hinweis auf das Vorliegen einer Straftat, die auf dem Dienstrechner einer Arbeitnehmerin über die Anwendung "WhatsApp-Web" einzusehende WhatsApp-Korrespondenz eines ersichtlich ausschließlich privat genutzten WhatsApp-Accounts gelesen und im Hinblick auf das Vorliegen etwaiger Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin ausgewertet hat, unterliegen wegen des hiermit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin regelmäßig einem Sachvortragsverwertungsverbot. Dies gilt auch, wenn die private Nutzung des Dienstrechners untersagt war.
2. Der Diebstahl von Bargeld zu Lasten einer Arbeitskollegin stellt einen an sich wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar. Je nach den Umständen des Einzelfalls, kann sich die Überzeugung des Gerichts, ob die behauptete Entwendung von Bargeld als wahr zu erachten ist, gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Wesentlichen auf die Aussage einer Zeugin stützen, die bekundet, dass die Klägerin ihr gegenüber die Entwendung des Bargelds zugestanden hat.
3. Bei überzahlter Arbeitsvergütung kann der Arbeitgeber nicht mit einer Bruttoforderung aufrechnen. Eine derartige Aufrechnung ist gem. § 394 S. 1 BGB unzulässig. (Anschluss an LAG Hamm, Urteil vom 11.12.2019 - 6 Sa 912/19 -)
Normenkette
BGB § 394 S. 1, § 626 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 25.04.2023; Aktenzeichen 12 Ca 12231/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 25.04.2023 - 12 Ca 12231/22 - abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für 15 restliche Urlaubstage für das Kalenderjahr 2022 1.453,85 € brutto zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über das gezahlte Gehalt für den Monat Oktober 2022 eine Abrechnung zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen
3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Beklagte zu 28 %, die Klägerin zu 72 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 10 %, die Klägerin zu 90 %.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, über Zahlungsansprüche sowie über die Erteilung einer Abrechnung.
Der Beklagte betreibt als Fachanwalt für Strafrecht eine Rechtsanwaltskanzlei in Bremen. Er beschäftigt weniger als 10 Arbeitnehmer. Die Klägerin war ab dem 26. Juli 2020 zunächst als Aushilfe und sodann seit dem 02. November 2020 als Rechtsanwaltsfachangestellte bei dem Beklagten beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug zuletzt 2.100,00 Euro. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 17. Oktober 2020 (Anlage 1, Bl. 8 f. d.A. des Arbeitsgerichts) vereinbarten die Parteien zudem u.a. eine dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende (§ 7 Abs. 2) und einen Jahresurlaubsanspruch von 23 Arbeitstagen (§ 3 Abs. 4). Die Klägerin war bei dem Beklagten u.a. für die Überweisung von Löhnen zuständig, wobei die Gehaltsabrechnungen regelmäßig durch einen Steuerberater erstellt wurden. Der Klägerin war es u.a. untersagt, den Arbeitsplatzrechner für private WhatsApp-Korrespondenz zu nutzen. Im Zeitraum vom 06. Februar 2022 bis zum 16. Februar 2022 befand sich die Klägerin aufgrund einer Corona-Infektion in behördlich angeordneter Quarantäne. Ab dem 17. Februar 2022 war die Klägerin weiter bis zum 25. Februar 2022 durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankgeschrieben. Neben der Klägerin arbeitete als weitere Mitarbeiterin Frau R. für den Beklagten sowie auf geringfügiger Basis Frau F. , bei welcher es sich um eine Studentin der Rechtswissenschaften handelt. Am 25. Oktober 2022 nahm Frau R. einen 50-Euro-Schein in ihrem Portemonnaie mit auf die Arbeit. Am frühen Abend des 25. Oktober 2022 teilte Frau R. dem Beklagten mit, dass ihr diese 50,00 Euro gestohlen worden seien und hierfür nur die Klägerin in Frage käme. Daraufhin kontrollierte der Beklagte den Arbeitsplatzrechner der Klägerin und die auf dem Arbeitsplatzrechner einsehbaren privaten WhatsApp-Nachrichten der Klägerin. Wegen des Inhalts der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin an Dritte vom 06. Februar, vom 18. Februar sowie vom 25. Oktober 2022 wird auf den diesbezüglichen Vortrag des Beklagten (Bl. 100, 102 und 103 d.A. des Arbeitsgerichts verwiesen). Am 26. Oktober 2022 hat der Beklagte die Klägerin, obwohl er von einem Diebstahl der ...