Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamthafenbetrieb als überbetrieblicher Arbeitgeber für Hafenarbeiter in Bremen. Parallelität zweier Bundesgesetze (AÜG und GHfBetrG). Keine Arbeitnehmerüberlassung bei Abordnung vom Gesamthafenbetrieb zum Hafeneinzelbetrieb. Vereinbarkeit des GHfBetrG mit dem Unionsrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit dem "Gesetz über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für Hafenarbeiter" (GHfBetrG) hat der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für die Gesamthafenbetriebe als gemeinsame Einrichtung der zuständigen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in Bremen, Hamburg, Rostock und Lübeck geschaffen.
2. Sowohl das GHfBetrG als auch das AÜG sind Bundesgesetze und daher von gleichrangigem Regelungsstatus. Da es bei dem GHfBetrG um den Gesamthafenbetrieb der Seehäfen und seine Beschäftigten geht, hat es als besonderes und sachnäheres Gesetz den Vorrang gegenüber dem AÜG nach dem Grundsatz "lex specialis derogat legi generali".
3. Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG setzt eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher voraus, nämlich den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. An einem solchen Vertrag fehlt es bei einer Abordnung der Beschäftigten qua Direktionsrecht vom Gesamthafenbetrieb zum Hafeneinzelbetrieb. Der Gesamthafenbetrieb hat ein einseitiges Gestellungsvorrecht nach § 8 der "Verwaltungsordnung für den GHfBetr" v. 07.12.1989. Einer gesonderten Rechtsgrundlage in Form eines Überlassungsvertrags bedarf es nicht.
4. Die Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie RL 2008/104/EG lässt die Autonomie der Sozialpartner einschließlich des Rechts, Tarifverträge nach nationalem Recht und nationalen Gepflogenheiten bei gleichzeitiger Erhaltung des Gemeinschaftsrechts auszuhandeln und abzuschließen, unberührt. Daraus folgt, dass diese EU-Richtlinie die Arbeit von gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nicht tangieren oder einschränken wollte. Auch besagt die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern gestatten können, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, sofern das Gesamtschutzniveau für Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt. Dies ist bei der Rechtskonstruktion des Gesamthafenbetriebs der Fall.
Normenkette
AEUV Art. 288 Abs. 3; RL 2008/104/EG; GG Art. 9 Abs. 3; AÜG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1; TzBfG § 16 S. 1; GHfBetrG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2; GHfBetr VO § 8 Fassung: 1989-12-07, § 9 S. 4 Fassung: 1989-12-07, § 15 Abs. 1 Fassung: 1989-12-07
Verfahrensgang
ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 17.11.2020; Aktenzeichen 11 Ca 11114/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 17.11.2020 - 11 Ca 11114/20 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 AÜG.
Der Kläger schloss mit dem Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen (im Folgenden: GHBV) mit Datum vom 2. April 1990 einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Anl. K 1; Bl. 7 ff. d. A.) mit folgendem Inhalt:
"1. Herr M. G. [...] wird mit dem 01. April 1990 im Auftrage des Ausschusses für Personal und Arbeit des Gesamthafenbetriebes im Lande Bremen als Gesamthafenarbeiter eingestellt [...].
2. Er gehört damit der Belegschaft des Gesamthafenbetriebes im Lande Bremen an.
[...]
3. [...]
Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. oder dem Hafenbetriebsverein im Lande Bremen e.V. einerseits, und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, andererseits für die Hafenarbeiter abgeschlossenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung, insbesondere [...], ferner die Verwaltungsordnung und die Arbeitsordnung für den Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen.
4. [...]
5. Der Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen nimmt dem Mitarbeiter gegenüber insoweit die Funktion eines Arbeitgebers war, soweit diese nicht von den Betrieben auszuüben ist.
6. Die Erledigung der laufenden Verwaltungsarbeiten des Gesamthafenbetriebes im Lande Bremen ist dem Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen e.V. übertragen. Rechtsansprüche gegen den Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen nach Ziffer 5 dieses Vertrages und aus diesem Vertrag selbst sind dem Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen e.V. gegenüber geltend zu machen. Insoweit übernimmt der Gesamthafenbetriebsverein im Lande Bremen e.V. die selbstschuldnerische Verpflichtung.
[...]
9. Der Eingestellte verpflichtet sich, seine aus der Beschäftigung bei den Betrieben entstehenden Lohnforderungen nicht an Dritte abzutreten.
[...]
Im Auftrage des Ausschusses für Personal und Arbeit des Gesamthafenbetriebes im Lande Bremen:"
[Es folgen u.a. die Angabe von Ort und Datum sowie die Unterschriftenzeile mit Unterschriften.]
Der Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen (im Folgenden: GHB) ist der auf der Grundlage des Gesetzes über die...