rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Betriebsvereinbarung. Ultima-ratio-Prinzip
Leitsatz (amtlich)
1) Sieht eine Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung” bei einem Verstoß gegen Ordnungs- und Sicherheitsvorschriften ein abgestuftes System von Rügen vor, nämlich eine Verwarnung u.a. „als Mißbilligung eines Verstoßes gegen die Ordnung” und einen Verweis „bei ernsteren Verstößen, wenn der Betroffene bereits eine Verwarnung erhalten hat oder wenn eine Verwarnung nicht der Schwere des Verstoßes entsprechen würde”, so muss nach dem Ausspruch von zwei Verwarnungen wegen eines gleichartigen Pflichtverstoßes dem Arbeitnehmer zunächst bei einem dritten gleichartigen Verstoß ein Verweis erteilt werden, bevor fristlos gekündigt werden darf.
2) Dies gilt auch dann, wenn in dem zweiten Verwarnungsschreiben ein Hinweis auf eine fristlose Kündigung bei einem weiteren Verstoß gegen die betriebliche Ordnung enthalten ist. Eine nach zweimaliger Verwarnung ausgesprochene fristlose Kündigung entspricht nicht dem „ultima-ratio-Prinzip”, da in dem betrieblichen Sanktionssystem der Verweis „übersprungen” wurde, und ist deshalb unwirksam.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Bremerhaven (Urteil vom 05.05.2004; Aktenzeichen 2 Ca 884/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremerhaven vom 05.05.2004 – Az.: 2 Ca 884/03 – wird auf ihre Kosten als unbegründet zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 28.03.1958 geborene Kläger ist seit dem 01.05.1986 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt.
Nach den bei der Beklagten geltenden Tarifverträgen, die auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung finden, sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr überschritten haben und eine Betriebszugehörigkeit von über 15 Jahren aufweisen, ordentlich nicht mehr kündbar.
Mit Schreiben vom 17.12.2002 erhielt der Kläger eine Verwarnung mit der ihm vorgeworfen wurde, am 24.11.2002 während des Dienstes mehrfach die Geschwindigkeit von 50 km/h und auf der letzten Strecke von der H. -P. -Straße bis zur Endhaltestelle C. -B. -Straße eine Verfrühung von 1 Minute und mehr gegenüber dem Fahrplan gehabt zu haben und damit wissentlich in Kauf genommen zu haben, dass Fahrgäste den Anschluss verpassen. Weiter heißt es in dem Schreiben vom 17.12.2002:
„Wir mißbilligen Ihr Verhalten scharf und erteilen Ihnen, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat der V. B. AG, gemäß § 9 Abs. 1 a der für uns geltenden Arbeitsordnung eine
schriftliche Verwarnung.
Wir fordern Sie auf, künftig Ihren sich aus dem Arbeits- und Tarifvertrag, der Arbeitsordnung und den sonstigen Anweisungen und Vorschriften ergebenden Pflichten in vollem Umfang nachzukommen.
Der Vorstand der V. B. AG ist zukünftig in keiner Weise mehr gewillt Ihre Pflichtverletzungen zu akzeptieren. Daher werden wir bei der nächsten Beanstandung oder Beschwerde über Ihr Verhalten auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht ziehen.”
Wegen der Einzelheiten dieses Verwarnungsschreibens wird auf Bl. 28 und 29 der Akte verwiesen.
Mit Schreiben vom 02. September 2003 erhielt der Kläger erneut eine „schriftliche Verwarnung” unter Berufung auf § 9 Abs. 1 a der Arbeitsordnung mit der ihm vorgeworfen wurde, am 25.07.2003 um 9.23 Uhr an der Haltestelle L. -M. vorbeigefahren zu sein, obwohl vier Fahrgäste an der Haltestelle hätten zusteigen wollen. In diesem Verwarnungsschreiben wurde der Kläger „letztmalig und unmissverständlich” darauf hingewiesen, dass die nächste geringste Verletzung der arbeits- und tarifvertraglichen Pflichten oder der Verstoß gegen die BO-Kraft bzw. DF-Kraft unwiderruflich zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen werde. Wegen der Einzelheiten dieses Verwarnungsschreibens wird auf Bl. 30 und 31 der Akte verwiesen.
Mit Schreiben vom 19.11.2003, welches dem Kläger am gleichen Tage zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich. In diesem Kündigungsschreiben heißt es u.a.:
„Sie sind am Mittwoch, 12. November 2003, um ca. 07:53 Uhr während Ihres Dienstes auf der Linie 502 erneut an einer Haltestelle vorbeigefahren, obwohl dort Fahrgäste warteten und zusteigen wollten. Somit haben Sie zum wiederholten Mal gegen Ihre arbeits- und tarifvertraglichen Pflichten verstoßen.
In der Ihnen am 02. September 2003 erteilten 2. Abmahnung wurde Ihnen unmissverständlich mitgeteilt, dass eine weitere Verletzung der arbeits- und tarifvertraglichen Pflichten unwiderruflich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen wird.”
Mit Klagschrift vom 26. November 2003, beim Arbeitsgericht Bremerhaven am 02. Dezember 2003 eingegangen, wehrt sich der Kläger gegen die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.11.2003 nicht beendet wird,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte...